Krise betrifft auch Entwicklungsländer!

STELLUNGNAHME von Jürgen KLUTE für den WIRTSCHAFTSAUSSCHUSS

21.01.2010

Das Europäische Parlament hat sich zu den Auswirkungen der Krise auf die Entwicklungsländer zu Wort gemeldet. Verantwortlich für die Resolution waren die Ausschüsse für Entwicklung (DEVE) und für Wirtschaft und Währung (ECON). Für den ECON habe ich eine Vorlage erarbeitet und Kompromissverhandlungen geführt. Nach vielen Änderungsanträgen eine Reihe positiver Punkte enthalten, doch die konservative Mehrheit hat trotzdem deutliche Spuren hinterlassen. Hier die Stellungnahme des Wirtschaftsausschuss, im Anhang mein Originalvorschlag und die im Plenum angenommene endgültige Resolution.

VORSCHLÄGE

Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung ersucht den Entwicklungsausschuss als federführenden Ausschuss, die nachfolgenden Vorschläge in seinen Entschließungsantrag einzubeziehen:

1. ist der Auffassung, dass die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise weiterhin Priorität haben sollte;

2. stellt außerdem fest, dass die Globalisierung auch positive Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Situation der Entwicklungsländer gehabt hat;

3. unterstreicht die Notwendigkeit, weiter Hilfe zu leisten und diese ständig an neue Gegebenheiten und Rahmenbedingungen anzupassen;

4. unterstreicht, dass die weltweite Wirtschaftskrise eine verstärkte Entwicklungszusammenarbeit – in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht – erforderlich gemacht hat;

5. ist der Auffassung, dass allein das Volumen der Entwicklungshilfemittel nicht ausreicht, um Aussagen über die Effektivität und Effizienz der Entwicklungshilfemaßnahmen der Europäischen Union zu treffen;

6. unterstreicht die Notwendigkeit, zu einem internationalen ordnungspolitischen System überzugehen, das die anfälligsten Bevölkerungsgruppen und Länder schützt, vor allem diejenigen, die am schlimmsten von der Krise betroffen sind und die über ein unwirksames bzw. überhaupt kein Sicherheitsnetz verfügen;

7. fordert die EU auf, den freien Handel zu unterstützen und sämtliche Handelshemmnisse und wettbewerbsverzerrenden Subventionen abzuschaffen, vor allem die europäischen Subventionen im Bereich der Landwirtschaft;

8. fordert die Kommission auf, die Reform der internationalen Entwicklungszusammenarbeit weiter voranzutreiben;

9. fordert den Rat und die Kommission auf, sich für die auf dem G-20 Gipfel vereinbarte Aufstockung der Mittel der internationalen Finanzinstitutionen einzusetzen;

10. fordert den Rat und die Kommission auf, eine ehrgeizige Reform des IWF zu befürworten;

11. fordert den Rat und die Kommission auf, die Koordination von bilateraler und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, da sie zu den Hauptursachen mangelnder Wirksamkeit von Entwicklungshilfe gehört;

12. fordert die Kommission nachdrücklich auf, eine Mitteilung zu der Frage vorzulegen, wie eine Steuer auf internationale Finanztransaktionen – neben anderen Zielsetzungen – zur Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele, zur Korrektur der weltweiten Ungleichgewichte und zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung in der Welt beitragen kann;

13. tritt dafür ein, die makroökonomische Zusammenarbeit im Rahmen der G-20 zu intensivieren, die Rolle des Systems der Vereinten Nationen zu stärken und die internationalen Finanzinstitutionen einer Reform zu unterziehen, um auf konzertierte Weise auf die Krise und ihre Auswirkungen in den Entwicklungsländern zu reagieren;

14. unterstreicht, dass die EU in der Pflicht steht, den Entwicklungsländern bei der Bewältigung der Lasten aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise und des Klimawandels, für die sie nicht verantwortlich sind, Hilfestellung zu leisten; fordert die Mitgliedstaaten diesbezüglich mit Nachdruck auf, ihren Zusagen gegenüber den Entwicklungsländern bei ihrer offiziellen Entwicklungshilfe uneingeschränkt nachzukommen, und verweist darauf, dass die Erfüllung dieser Verpflichtungen sowohl ein schnellerer als auch ein leichterer Weg sein würde, um Mittel für die Entwicklungsländer zu gewährleisten, als die Schaffung eines neuen Systems der Besteuerung von Finanzgeschäften;

15. unterstreicht, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise eine globale Reaktion erfordert, dass keine Finanzinstitution, kein Marktsegment und kein Territorium der Regulierung bzw. der Kontrolle entgehen darf und dass Transparenz und Verantwortlichkeit aller Akteure die Grundlage für eine neue internationale Finanzordnung sein müssen;

16. ist der Auffassung, dass Entwicklungsländer, die in besonders hohem Maße von Geldern der Entwicklungszusammenarbeit abhängig sind und die eine hohe Exportorientierung aufweisen, bisher am stärksten negativ von der Krise betroffen sind, da die Finanzflüsse vom Norden in den Süden zunehmend versiegen und die Binnenmärkte in vielen Entwicklungsländern zu schwach sind, um die Exportrückgänge zu kompensieren;

17. hebt hervor, dass das Ausmaß, die Tiefe und die Komplexität der Finanzkrise mit der Abkoppelung der Entwicklung des Finanzsystems von der realen Wirtschaft, dem Vorhandensein zunehmender globaler Ungleichgewichte und der Verschärfung der Umweltprobleme auf dem Planeten zusammenhängen, die bewältigt werden müssen, damit das Wirtschaftssystem auf einen Pfad der nachhaltigen weltweiten Entwicklung gebracht werden kann;

18. unterstreicht, dass die Kreditklemme, die durch die Rezession hervorgerufene Unsicherheit und der Rückgang beim Handelsvolumen, bei den Investitionen und bei den Heimatüberweisungen der Migranten auf internationaler Ebene die Kanäle sind, über die die Krise von den Industrieländern auf die Entwicklungsländer übertragen wurde, und weist darauf hin, dass es in all diesen Bereichen notwendig ist, dass die Union entsprechende Initiativen ergreift und auf konzertierte, umfassende und in sich schlüssige Weise ihre Präsenz auf der internationalen Bühne ausbaut;

19. weist darauf hin, dass zur Verwirklichung einer größeren Finanzstabilität und einer besseren Funktionsweise des Welthandelssystems im Rahmen der WTO der Weg hin zu einem neuen internationalen Währungs- und Finanzsystem eingeschlagen werden muss, das auf multilateralen Regeln basiert, die den spezifischen Problemen der Entwicklungsländer Rechnung tragen, und das sich in den Rahmen der Vereinten Nationen einfügt;

20. begrüßt die vom Europäischen Rat im Oktober 2009 abgegebene Zusage, bei der Bekämpfung des Klimawandels die Millenniumsentwicklungsziele (MEZ) nicht zu untergraben; fordert den Rat mit Nachdruck auf, sich so schnell wie möglich und im Rahmen der Schlussfolgerungen des Kopenhagener Gipfels sowie der von den G-20 erzielten Kompromisse auf feste finanzielle Zusagen zu einigen, die die Entwicklungsländer in die Lage versetzen, die Verschlechterung der Klimasituation zu bewältigen, und sicherzustellen, dass die aufgrund der Wirtschaftskrise erforderliche Unterstützung nicht zu einem Rückfall in eine übermäßige Auslandsverschuldung führt;

21. verweist darauf, dass der Grundsatz der Politikkohärenz im Dienste der Entwicklung, der in den EU-Verträgen verankert ist, ein Schlüsselelement für die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele (MEZ) darstellt; fordert die EU dementsprechend mit Nachdruck auf, eine Handelspolitik zu entwickeln, die in sich schlüssig ist und im Einklang mit der Verwirklichung der MEZ steht; fordert die Ausarbeitung solider rechtlicher Mechanismen, die gewährleisten würden, dass die EU über ihre Verpflichtung zur Politikkohärenz Rechenschaft ablegen muss;

22. fordert eine bessere Kohärenz der Entwicklungshilfe und anderer Politikbereiche der EU; stellt fest, dass beispielsweise die Vermarktung von EU-subventionierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Schaffung gesunder Märkte für die Erzeugnisse armer ortsansässiger Landwirte zuwider laufen und so den Erfolg der Bemühungen im Rahmen der Projekte zur Förderung der lokalen Landwirtschaft zunichte machen kann;

23. nimmt mit Besorgnis die Einschränkungen bei der offiziellen Entwicklungshilfe für das Gesundheitswesen, insbesondere in Bezug auf die Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, denen eine Schlüsselfunktion für die Verwirklichung der MEZ zukommt, zur Kenntnis; weist darauf hin, dass gesunde und leistungsfähige Beschäftigte eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung sind;

24. ist der Auffassung, dass die Entwicklungspolitik der EU sowohl die Interessen der EU als auch die der Entwicklungsländer respektieren sollte; ist ferner der Ansicht, dass die gegenseitige Öffnung der Märkte nicht auf Kosten des wirtschaftlichen Gleichgewichts in den Entwicklungsländern erreicht werden sollte und fordert gleichwertige Überwachungs- und Regelungsrahmen; fordert die Kommission, den Rat und die Europäische Investitionsbank ferner auf, die Bereitstellung von Mikrokrediten für KMU und Kleinbauern zu einer Priorität der Entwicklungszusammenarbeit zu machen und damit nachhaltige regionale Wirtschaftsstrukturen zu fördern;

25. stellt fest, dass verschiedene Unternehmen bereits hunderttausende Hektar Land in einigen Entwicklungsländern für die Erzeugung von Biokraftstoffen für EU-Märkte erworben haben; fordert, dass man einem solchen Landerwerb durch die Einführung von Kriterien mit klaren Grenzen für das Volumen der zulässigen Treibhausgasemissionen während des gesamten Lebenszyklus der Erzeugung von Biokraftstoffen sowie Kriterien entgegenwirkt, die diese Art der Nutzung von Land, das für die Lebensmittelproduktion geeignet ist, unvorteilhaft machen;

26. unterstreicht, dass Steueroasen und Offshore-Zentren Strategien der Steuervermeidung (z. B. durch unkorrekte Verrechnungspreise), Steuerhinterziehung und illegale Kapitalflucht fördern; unterstreicht insbesondere, dass Steuerbetrug in den Entwicklungsländern zu einem jährlichen Verlust von Steuereinnahmen führt, der dem zehnfachen des Betrags der von den Industrienationen bereitgestellten Entwicklungshilfe entspricht; fordert die Mitgliedstaaten deshalb mit Nachdruck auf, die Bekämpfung von Steueroasen, Steuerhinterziehung und illegaler Kapitalflucht aus den Entwicklungsländern zu einer ihrer obersten Prioritäten zu machen; bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Überzeugung, dass der automatische Informationsaustausch weltweit ausgeweitet werden und innerhalb eines multilateralen Rahmens stattfinden sollte;

27. fordert zur Erzielung besserer Ergebnisse bei der Entwicklungszusammenarbeit eine verstärkte Zusammenarbeit, Überwachung und Bewertung während der Planung und der Durchführung der Vorhaben auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit, an denen die EU beteiligt ist; fordert die neue Hohe Vertreterin für die Außenpolitik auf, die Schaffung von eigenständigen Referaten in jedem der Empfängerländer zum Zwecke der kontinuierlichen Überwachung und Bewertung dieser Vorhaben in Erwägung zu ziehen;

28. stellt fest, dass die Überwachung und Bewertung durch den Einsatz geeigneter EDV-Programme intensiviert werden können, wobei als Beispiele das von OLAF entwickelte Programm bzw. die mit EU-Unterstützung entwickelten Programme – z. B. ODAmoz – zu nennen sind, mit deren Hilfe man sämtliche Entwicklungsvorhaben auflisten, klassifizieren, analysieren und weiterverfolgen und kontinuierlich feststellen kann, ob ihre Zielvorgaben tatsächlich verwirklicht werden;

29. stellt fest, dass die Mitgliedstaaten Nutzen aus einer verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der Bewertungs- und Überwachungsreferate der EU ziehen könnten, beispielsweise durch Entsendung ihrer Bediensteten zu diesen Referaten, um die von den einzelnen Mitgliedstaaten finanzierten Vorhaben zu überwachen und zu bewerten; stellt fest, dass eine Zusammenarbeit und die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen besonders nützlich für die Mitgliedstaaten sein können, deren Strukturen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit relativ neuen Datums sind, vor allem dann, wenn die Personalausbildung diesen Referaten zugewiesen werden kann; stellt fest, dass eine solche Zusammenarbeit die notwendige Transparenz, den Einsatz bewährter Praktiken und sogar die Akzeptanz von Aufstockungen bei den Entwicklungshaushalten in den Geberländern fördern würde;

30. fordert den Rat und die Kommission auf, bei der Überprüfung ihrer Instrumente und Politiken der Entwicklungszusammenarbeit außerdem darauf zu achten, nicht-intendierte Effekte auf die Volkswirtschaften in den Entwicklungsländern wie eine zunehmende Abhängigkeit von Entwicklungshilfetransfers mit negativen Auswirkungen auf Wachstum, Löhne und Beschäftigung sowie die Etablierung von Rent-seeking-Strukturen und Korruption so gering wie möglich zu halten;

31. unterstreicht die Bedeutung einer Unterstützung der Entwicklungsländer beim Aufbau effektiver Kapazitäten, um in ihrem eigenen Interesse die Bekämpfung der Korruption, die Rechtsstaatlichkeit, eine gute Regierungsführung und die Transparenz ihrer öffentlichen Finanzen zu verbessern, damit die Vorhersehbarkeit, die Ausführung der Haushaltsmittel und die Haushaltskontrolle optimaler gestaltet werden; unterstreicht die Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle der öffentlichen Finanzen; unterstreicht die Notwendigkeit, die internationalen Rechnungsführungsstandards zu verbessern, um Praktiken der Steuerumgehung und der Steuerhinterziehung zu vermeiden, einschließlich der Auflage für transnationale Unternehmen, für jedes einzelne Land einen Finanzbericht auszuarbeiten;

32. weist darauf hin, dass es weltweit dutzende von Steueroasen gibt, die sogar von einigen Unternehmen mit Sitz in der OECD genutzt werden, um die Zahlung von Steuern an die Entwicklungsländer, in denen sie rentablen Aktivitäten nachgehen, oder an ihre Heimatländer zu vermeiden; fordert die Kommission auf, darüber Bericht zu erstatten, wie der automatische Austausch von Informationen weltweit ausgeweitet werden kann und wie Sanktionen für kooperationsunwillige Steueroasen und ihre Nutzer umgesetzt werden könnten und wie eine länderspezifische Berichterstattung über erzielte Gewinne und gezahlte Steuern zu einer Regel für transnationale Unternehmen in der EU gemacht werden kann;

33. stellt mit Besorgnis fest, dass die weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Entwicklungsländer zu unvertretbar hohen Arbeitslosenzahlen und zu einer Zunahme der Migration aus wirtschaftlichen Gründen führen könnte; fügt hinzu, dass solche Migrationsströme zu einem „Brain Drain" aus den Entwicklungsländern führen und ihrem künftigen Wirtschaftswachstum Schaden zufügen könnten;

34. stellt fest, dass die EIB Anstrengungen unternommen hat, um zu gewährleisten, dass ihre Garantien und Investitionen nicht über Steueroasen getätigt werden; fordert die EIB ferner auf, die notwendigen zusätzlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass dies nicht auf indirektem Wege geschieht; fordert die EIB ferner auf, über die Umsetzung ihrer Politik gegenüber Offshore-Finanzzentren Bericht zu erstatten; ersucht die EIB, bei der Festlegung der Bedingungen oder Konventionalitätskriterien besonders achtsam vorzugehen, um sowohl mit den politischen Zielen der EU als auch mit dem ILO-Konzept der „menschenwürdigen Arbeit" im Einklang stehen, und somit eine Maximierung der Hilfe, eine Einbindung lokaler Unternehmen und die Bekämpfung der Korruption zu gewährleisten; vertritt die Auffassung, dass die EIB ihre Politik der Personaleinstellung auf den Erwerb von Fachverstand in den Bereichen Umweltschutz und Entwicklung konzentrieren sollte;

35. spricht sich dafür aus, dass in dem Bericht, den der internationale Währungsfonds für das nächste Treffen der G-20 über den Beitrag, den das Finanzsystem aufgrund der Belastungen im Zusammenhang mit den verschiedenen von Regierungen vorgenommenen Interventionen leisten muss, vorbereitet, alle direkten und indirekten Belastungen berücksichtigt werden, die für die öffentlichen Finanzen entstehen, insbesondere die Auswirkungen auf die Haushalte der Entwicklungsländer.

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