TTIP-Verhandlungen: In wessen Namen?
Neue Dokumente belegen die Scheinheiligkeit der Bundesregierung
Die Forderung eines bloßen Verhandlungsstopps für TTIP greift zu kurz. Wir brauchen einen internationalen Handelsgerichtshof, der die privaten Schiedsverfahren ablöst. Ein Beitrag für Freitag.de
TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) steht massiv in der Kritik. Für den 10. Oktober ist eine große Anti-TTIP-Demonstration in Berlin geplant. Die Kritik richtet sich zum einen gegen Einhalte, insbesondere gegen die privaten Schiedsgerichte zum Schutz der Interessen der Investoren gegenüber Staaten (ISDS = Investor-State Dispute Settlement). Und zum anderen richtet sich die Kritik gegen die gänzlich intransparente Verhandlungsführung.
Als Verantwortliche für die intransparente Verhandlungsführung und für die kritikwürdigen Inhalte haben die TTIP-Kritiker die EU-Kommission ausgemacht. Doch ganz so einfach ist es nicht. Die EU-Kommission ist ohne Zweifel eine richtige Adresse für Kritik an TTIP. Sie ist aber nicht die einzige Adresse. Denn die Kommission verhandelt TTIP nicht aus eigener Initiative, sondern auf der Grundlage eines Verhandlungsmandats des EU-Rates vom 14. Juni 2013. Und im EU-Rat sind die Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten vertreten. Von sich aus hat der Rat sein Verhandlungsmandat für die TTIP-Verhandlungen nicht offengelegt. Der Rat zieht es vor, sich hinter der Kommission zu verstecken. Vor einigen Monaten hat allerdings die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament ein Leak des Verhandlungsmandats des EU-Rates veröffentlich (TTIP-Leak).
Die eigentliche Triebkraft hinter TTIP ist also der EU-Rat, mit anderen Worten: die Regierungen der Mitgliedsländer. Dies wurde vor wenigen Tagen durch die Bundesregierung bestätigt. Der linke MdB Klaus Ernst hatte an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Anfrage gerichtet, in welchen der derzeit auch EU-Ebene verhandelten Freihandelsabkommen Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) enthalten sind (Anfrage Nr. 62, August 2015). Die von Staatssekretär Rainer Sontowski gezeichnete Antwort an MdB Klaus Ernst vom 18. August 2015 bestätigt, dass die EU-Kommission TTIP und auch alle anderen Handelsabkommen auf der Grundlage von Verhandlungsmandaten des Rats und der "im Rat vereinten Vertretern der Mitgliedstaaten" verhandelt.
Mit anderen Worten: Die Regierungen der Mitgliedsländer der EU haben es in der Hand, das Mandat zu ändern. Wenn der EU-Rat bzw. die in ihm vertretenen Regierungen es wollten, dann könnten sie das Verhandlungsmandat der Kommission dahingehend ändern, dass die Verhandlungen öffentlich und transparent geführt werden. Und sie könnten der Kommission das Mandat erteilen, statt über private Schiedsverfahren über die Einrichtung eines internationalen öffentlichen Handelsgerichtshofs (analog zum internationalen Strafgerichtshof bzw. zum internationalen Menschenrechtsgerichtshof) zu verhandeln.
Der Protest gegen TTIP sollte deshalb sinnvollerweise auch auf zwei Ebenen stattfinden: auf der Ebene der Mitgliedsländer, um die jeweiligen EU-Ratsmitglieder unter Druck zu setzten, und auf EU-Ebene, um auch die EU-Kommission weiterhin unter Druck zu setzen – und natürlich auch das Europäische Parlament.
Da private Schiedsverfahren (ISDS) aber wohl in so gut wie allen bereits bestehenden und derzeit verhandelten Handelsabkommen der EU mit Drittstaaten enthalten sind, reicht es nicht aus, nur einen Verhandlungsstopp für TTIP zu fordern. Die USA sind ein gleichwertiger Handelspartner der EU. Die meisten anderen Handelsabkommen der EU wurden mit deutlich kleineren Ländern abgeschlossen. Deren Schicksal sollte den Akteuren des TTIP-Protest nicht egal sein.
Für eine grundlegende Verbesserung der globalen Handelsbeziehungen ist es nötig, die Einsetzung eines internationalen öffentlichen Handelsgerichtshofs mit einer Berufungsinstanz durchzusetzen, vor dem alle Rechtsstreitigkeiten, die sich aus Handels- und Investitionsabkommen ergeben, von regulären Richtern entschieden werden. Zeitgleich mit der Einsetzung eines solchen Handelsgerichtshofs wären alle bestehenden privaten Schiedsverfahren außer Kraft zu setzen und durch den neuen Handelsgerichtshof zu ersetzen. Vor diesem neuen Gerichtshof bekommen nicht nur Investoren, sondern auch Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und Umweltverbände ein Klagerecht eingeräumt.
Ein solcher internationaler öffentlicher Handelsgerichtshof wäre die Grundlage für ein internationales Handels- und Investorenrecht, dass auf Dauer die bi- und multilateralen Handelsabkommen ersetzt. Das Haupthindernis für eine solche Entwicklung stellen derzeit die Regierungen der EU-Mitgliedsländer dar!
Die Forderung eines bloßen Verhandlungsstopp für TTIP greift daher zu kurz.