Ideologische Schockstarre
KOMMENTAR von Jürgen KLUTE/ Hanna PENZER, in EUROPAROT 3
Für die 500 Millionen Menschen, die in den Mitgliedsländern der Europäischen Union leben, entscheiden in diesem Jahr 27 Regierungschefs und EU-Kommission wohin die Reise bis ins Jahr 2020 gehen soll. Der Name ist Programm: Die EU 2020-Strategie legt fest, wie Europa die Herstellung und Verteilung von Waren und Dienstleistungen in Zukunft organisieren will. Der Entwurf der EU-Kommission, der - mit einigen Änderungen und Präzisierungen - im Herbst auf einem staatstragenden Gipfel beschlossen werden soll, liegt seit März vor. Debatten, aus denen hervorgehen könnte, welche Prioritäten die Bürgerinnen und Bürger in der EU sich wünschen, hat man vorsichtshalber nicht angestoßen.
In welchen Bereichen will die EU nun in Zukunft Akzente setzen? Welche sind die Ziele, auf die europäische Wirtschaftspolitik Kurs nehmen will? Die Vorschläge der EU-Kommission lauten: Mehr Wettbewerb, von der Bildung bis zum Arbeitsmarkt -, mehr Strukturreformen, die die öffentlichen Haushalte von sozialer Last befreien, sowie Arbeitsbeziehungen, die Löhne nicht über das für Unternehmen wünschenswerte hinauswachsen lassen.
Auch Investitionen soll es geben - in marktkonforme Forschung, in Verkehrsverbindungen und in das Lieblingsspielzeug der Kommission: schnelle Internetverbindungen. In einem makellosen Binnenmarkt soll es keinen Unterschied machen, woher die Wurst kommt, die auf dem Abendbrot landet und im Idealfall soll es der hungrige Konsument auch nicht merken. Für Einkäufe, die in den digitalen Einkaufskorb wandern, entscheidet die Suchmaschine, welcher Händler am nächsten liegt. Förderung regionaler Wirtschaftsstrukturen: Fehlanzeige - stattdessen: Wettbewerb pur.
In anderen Bereichen sieht es ähnlich aus: Effizienzsteigerungen in allen Branchen, Spardisziplin, um die Märkte zu beruhigen und für Kleinunternehmer mehr Risikokapital und ein vereinfachtes Insolvenzrecht. O-Ton der EU-Kommission: "Unternehmern nach dem Scheitern einen Neuanfang ermöglichen". Das Recht des Stärkeren will Brüssel auch in Zukunft durchsetzen.
Dass eine Strategie, die rein auf Kosteneinsparung setzt, keinen Wohlstand schafft; dass Wettbewerb auch Verlierer erzeugt; dass Demokratien sich nicht zu Erfüllungsgehilfen einer Hand voll exportstarker "Champions" machen dürfen; dass Volkswirtschaften, die alles am Export ausrichten, von globalen Krisen besonders hart getroffen werden - all das spielt in Brüssel weiter keine Rolle. "EU 2020" setzt auf ideologische Schockstarre, und dies mit Nachdruck.
Download-Dokumente:
- Europarot 3 (Juli 2010) DIE LINKE. im Europaparlament