Lernt Brüssel aus der Krise?
Dass das Thema »Finanzkrise« in der Europäischen Union derzeit eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand, wurden doch den Banken in den letzten Monaten Steuergelder in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt. Jean-Claude Juncker, Sprecher der Euro-Länder, wurde dafür im November zum »Europäischen Banker des Jahres« gewählt – stellvertretend für die Gesamtheit der Finanzminister in der Union.
Klar ist: Die aktuelle Finanzkrise – immerhin die schwerste seit Ende der zwanziger Jahre – verlangt nach politischen Antworten. Doch welche Antworten hat die EU bisher gefunden? Die Europäische Kommission hat mittlerweile eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, weitere sind in Arbeit.
Die erste Reform, die bereits im Sommer nächsten Jahres beschlossen werden soll, betrifft die Manager »alternativer Investmentfonds«. Als »alternativ« bezeichnet die Kommission hier hochriskant agierende Fonds, die vorwiegend mit geliehenem Geld zocken (Hedgefonds), sowie Fonds, die mit Rohstoffen und Immobilien spekulieren. »Alternativ« sind auch die »Private Equity« (Private Anteilseigner), die gnadenlosen Arbeitsplatzabbau in mittelständischen Unternehmen betreiben.
An die Fonds selbst traut sich die Kommission dabei nicht heran. Es sollen lediglich Regeln für die Verwalter der Fonds aufgestellt werden und selbst dies erst ab einer Mindestgröße von 100 Mio. Euro. Vorgesehen sind strengere Informationspflichten gegenüber den Kunden, die ihr Geld in Hedgefonds & Co. anlegen. Im Gegenzug dürfen zugelassene Verwalter ihre Anlageprodukte dann in der ganzen EU vermarkten – auch wenn die Fonds ihren Sitz in Steueroasen haben.
Mit einer Einschränkung der Fonds oder gar ihrem Verbot, wie von der Linken im Europäischen Parlament gefordert, hat dies nichts zu tun, im Gegenteil. Mit der Regelung würde diesen Fonds der lukrative EU -Binnenmarkt erst richtig geöffnet, da sie dann mit einer EU -weiten Zulassung ausgestattet wären. Für die Barroso-Kommission und für die Mehrheit des Europäischen Parlaments gilt lediglich mangelnde Transparenz und das Fehlverhalten einzelner »schwarzer Schafe« als Ursache der Finanzkrise. So sollen denn auch weitere Richtlinien folgen, um lediglich die Aufsicht der aufgeblähten Finanzmärkte zu verbessern.
Lord Adair Turner, Chef der obersten Finanzaufsichtsbehörde in London (und sicher kein Sozialist), brach kürzlich ein Tabu in politischen Kreisen. Er verwies darauf, dass aus Sicht der Gesamtgesellschaft eigentlich eine deutliche Verkleinerung des Finanzsektors notwendig wäre. Doch die verheerenden Folgen der Krise für den Arbeitsmarkt werden in der EU entweder nicht erkannt oder als nicht gravierend angesehen.
Dies wird etwa an den Forderungen der Kommission zum Umgang mit den schweren Folgen der Krise für Unternehmen und Beschäftigte deutlich. Die Staaten sollen ihre Unterstützungspakete so schnell wie möglich zurückfahren, heißt es dort. Auch wenn der Tiefpunkt der Finanzkrise überschritten ist, ändert dies nichts daran, dass mit den größten Entlassungswellen erst noch zu rechnen ist.
Mitte Oktober hat die EU-Kommission in einer Mitteilung ihre Sicht auf die Krise noch einmal deutlich gemacht. Angesichts der Finanzlöcher, die die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Banken in den öffentlichen Kassen gerissen haben, tritt sie für eine radikale Stabilisierung der öffentlichen Haushalte ein. Die Kommissare verbinden dieses Argument mit einem weiteren – jenem der »demografischen Katastrophe«. Durch die Alterung der Gesellschaft werden angeblich noch größere Lasten auf die öffentlichen Haushalte zukommen.
Mit Hinweisen auf die Demografie und auf die Kosten der Krise soll den Bürgerinnen und Bürgern in Europa also verkauft werden, dass das Renteneintrittsalter erhöht und die Ausgaben für Gesundheit und Pflege gleichzeitig drastisch gesenkt werden sollen. Diesen Lösungsansatz hat auch die schwarz-gelbe Regierung in Berlin dankbar aufgegriffen. Sicher ist damit allerdings nur, dass die breite Bevölkerung nach der Krise noch ärmer sein wird als zuvor.