Uribe und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
DOKUMENTATION eines ARTIKELS aus LA SEMAINE (Metz)
Die Debatte um die gescheiterte Professur von Alvaro Uribe an der Universität ENIM in Metz / Frankreich hat jetzt eine neue Facette erhalten. La Semaine, das zeitgeistige Wochenblatt in Metz, hat dem Thema in der Ausgabe Nr. 326 (23. bis 29. Juni 2011) die Titelgeschichte gewidmet.
Nicht nur die Leitung der ENIM ignoriert nach wie vor, dass Uribe während seiner Amtszeit als Präsident Kolumbiens für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, sondern auch der Chef von la Semaine. Letzterer behauptet in dem besagten Artikel in la Semaine, die ENIM sei das Opfer einer Intrige der GIZ (bis vor kurzem: GTZ) geworden. Mir als Initiator des Protestbriefes gegen die Professur von Uribe unterstellt der Artikel, ich hätte letztlich nur der deutschen GIZ zugearbeitet, die kürzlich den Vertrag mit der kolumbianischen SENA abgeschlossen hat, um den sich auch die ENIM bemüht hatte.
Außerdem behauptet der Artikel, Uribe habe nicht von sich aus auf seine Professur verzichtet, wie kürzlich von etlichen Medien berichtet wurde, sondern die ENIM habe den Vertrag aufgekündigt, um Schaden von der ENIM abzuwenden.
Ein interessanter Versuch einer Mythenbildung. Allerdings macht der Artikel in la Semaine auch deutlich, in welch großem Umfang universitäre Bildung mittlerweile zur Handelsware geworden ist und mehr und mehr einer ökonomischen Logik folgt, die mit Menschenrechten nicht kompatibel ist.
Jürgen Klute
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Zum Artikel bei "La Semaine" geht es HIER ! Deutsche Übersetzung:
Kolumbien und die ENIM-Fachhochschule
Versteckten sich hinter der Kontroverse um Uribe wirtschaftliche Interessen Deutschlands?
von Jean-Pierre JAGER - Journalist von La Semaine - 24/06/2011 um 10h25
Sind die im Namen der Menschenrechte erhobenen Proteste um die Berufung Alvaro Uribes, ehemaliger kolumbianischer Präsident, zum Professor der ENIM nicht eine verschleierte Geheimdienstoperation zugunsten deutscher Ausbildungseinrichtungen und Industrieller? Mitarbeiter der ENIM und allen voran Pierre Padilla sind davon überzeugt. Eine Reihe von Ereignissen bestätigt sie in ihrer Analyse...
Erinnern wir uns zum Beispiel an die 8-jährige Kooperation zwischen der ENIM, der Nationalen Ingenieursschule von Metz, und der SENA, dem Nationalen Dienst für Berufsausbildung Kolumbiens. Seit 2002 hat diese Kooperation dazu beigetragen, mehr als 1000 Ingenieure in Kolumbien auszubilden und 175 jungen Kolumbianern ein Doppeldiplom in Maschinenbau an der ENIM in Metz zu ermöglichen. Sie trug auch dazu bei, die Software "Dassault System" für Industrieprojekte (600 Catia-Lizenzen) sowie die von der ENIM entwickelten Simulatoren für den Baggerlader Acréos (für eine Gesamtsumme von 450.000 € in 2011) auf dem lateinamerikanischen Markt zu verbreiten.
Diese Zusammenarbeit und ihre Auswirkungen finden nun ein Ende: "Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) wird die Nachfolge antreten, Dassault-Software wird von Siemens-Software ersetzt, die Acréos-Simulatoren machen Platz für Simulatoren von Bosch, Bachelors der ENIM werden durch Bachelor-Abschlüsse deutscher Universitäten ersetzt und das Ausbildungszentrum, das wir an der Universität von Antioquia geleitet haben, wird im September geschlossen", sagt Pierre Padilla. Abgesehen von den strategischen und wissenschaftlichen Folgen bedeutet dies für die ENIM ein jährliches Defizit von 600.000 Euro.
Eine Rückblende trägt zum besseren Verständnis der Ereignisse bei:
Seit 2002, als Alvaro Uribe zum ersten Mal zum Präsidenten von Kolumbien gewählt und Dario Montoya zum nationalen Direktor der SENA ernannt wurde, etablierte sich eine Kooperation im Bereich der technischen Ausbildung mit der ENIM und ihrem Direktor Pierre Padilla - ein begeisterter Anhänger der hispanischen Kultur und ein Liebhaber Lateinamerikas. Der SENA, der weltweit zu den Top 30 der Berufsausbildungseinrichtungen zählt, hat während dieser Zeit die Zahl der Auszubildenden in kurzen und langen Lehrgängen um 8 Mio. erhöht. Die Zahl der Auszubildenden ist pro Jahr von einer Million in 2002 auf 9 Mio. in 2010 gestiegen.
Für Uribe, wie er erst kürzlich auf einer Pressekonferenz in Metz erklärte, war diese Ausbildung das einzige Medium, Solidarität zwischen den Bürgern und Freiheit in einem vom Bürgerkrieg (siehe zum Beispiel die Farcs, Morde oder die Geiselnahmen wie die von Ingrid Betancourt) geplagten Land zu verbreiten sowie den Einfluss der Drogenkartelle und die Feindseligkeit einiger Nachbarstaaten einzudämmen. Er sah in dieser technischen Ausbildung auch die Gelegenheit für ein kleines Land wie Kolumbien, einen wichtigen Beitrag zur Ankurbelung der Wirtschaft in Lateinamerika und Brasilien zu leisten.
· Insofern sollte man daran erinnern, dass Deutschland immer SENAs Hauptlieferant von Technologie war und es manchmal Reibungen gab zwischen den Teams der ENIM und der GTZ, die zur GIZ geworden ist.
· Mit der ENIM ist im Laufe der Jahre eine Kooperation entstanden, die auf das französische Industrie-Knowhow aber auch auf ein globales Cartagena-Netzwerk basiert. Die Anwesenheit von Alvaro Uribe (er trat im August zurück, und einer seiner ehemaligen Minister wurde als Nachfolger zum Staatsoberhaupt Kolumbiens gewählt) bei der Eröffnung der neuen Räumlichkeiten der ENIM in der Technopolis Metz im September 2010 verlieh der Kooperation einen besonderen Glanz. Zeitgleich kündigte die ENIM an zu expandieren, und zwar in Marokko (Eröffnung einer ENIM in Agadir im Herbst) und in China aufgrund Partnerschaften mit mehreren Universitäten, um die Fortbildung von ENIM-Ingenieuren international zu gewährleisten.
· Als Alvaro Uribe zu Beginn des Jahres auf den Lehrstuhl Völkerrecht und wirtschaftliche Fragen der ENIM berufen wurde, sah man dies im Kontext der Weltwirtschaft als einen zusätzlichen Vorteil für junge Ingenieure und für den Ruhm der Schule auf der ganzen Welt... Bis eines Tages Uribes Handlungen während seiner zwei Amtszeiten in seinem Land bezüglich der Achtung der Menschenrechte angefochten werden. Ein deutscher MdEP (von Die Linke), Jürgen Klute versammelt rund dreißig Abgeordnete um sich, die einen Brief verfassen, um sowohl die "saftigen Verträge" der ENIM und die menschenrechtsverachtenden Handlungen Alvaro Uribes zu denunzieren. Es wird auch auf die amerikanische Universität von Georgetown Bezug genommen, die auf die Dienstleistungen Uribes verzichtet hätte.
· Die Kampagne wird sofort von den Gewerkschaften SNESUP und SNPTS, die aus mehreren Gründen in Opposition zu Pierre Padilla stehen (das Schicksal eines lehrenden Forschers, der vor die Disziplinarkommission gebracht wird) und einer kolumbianische Studentenorganisation verbreitet... Es findet eine Demonstration statt, die einige Abgeordnete der Linken und des PCF sowie aktive und pensionierte Lehrer vereint. Aufgrund Uribes Persönlichkeit wird sie stark von den Medien verbreitet. Die ENIM fordert in einem Schreiben an die Abgeordneten auf, eine Erklärung für den zugefügten Imageschaden zu liefern. Jürgen Klute antwortet als einziger...
· "Mitte April hört man nichts mehr von den Europaabgeordneten", sagt Pierre Padilla. In der Zwischenzeit hat der Besuch des kolumbianischen Präsidenten in Begleitung mit dem neuen Chef der SENA in Deutschland und vor allem die Unterzeichnung des Vertrages mit der GIZ stattgefunden.
· Die ENIM hat auf den Vertrag mit Alvaro Uribe verzichtet. "Das war für uns der einzige Weg aus dieser Affäre zu kommen und die Interessen der Schule zu bewahren.
Für uns ist Uribe der [ehemalige] Präsident eines Landes, das seine Ausbildung modernisiert hat wie kein anderes in Lateinamerika. Offiziell ist ihm nichts vorzuwerfen. Warum sollten wir an die Stelle der kolumbianischen Justiz treten? Uribe behält seine Berufung bei den Vereinten Nationen bei. Er ist wütend über das, was geschieht, und hat entschieden, weiter zu kämpfen."
· In punkto Pierre Padilla: Er wird wie vorgesehen seine Anstellung als Leiter der Schule in Messina in diesem Herbst beenden. Eine Institution, die seit 16 Jahren durch seine Persönlichkeit geprägt wurde. Die Vergabe der Diplome am 30. Juni wird sein Abschied sein. "Ich werde nicht eine Sekunde länger am 29. August bleiben", sagt derjenige, der in seinem Büro seit vielen Jahren eine französische Fahne und eine kolumbianische Fahne mit den Initialen der ENIM hängen hat.
Übersetzung: Julia Klaus
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