Welchen Preis muss Kolumbien für Freihandelsabkommen bezahlen?

ANFRAGE eingereicht von Jürgen Klute - ANTWORT von der Kommission und dem Rat

18.04.2013

Das Unternehmen EMGESA, eine Tochtergesellschaft des multinationalen spanischen Unternehmens ENDESA und der italienischen ENEL, errichtet derzeit ein Wasserkraftwerk in Huila (Kolumbien). Mittlerweile sind bereits 7 500 Hektar eines Schutzgebietes im Regenwald des Amazonas zerstört worden; außerdem ist die Umleitung des großen Flusses Magdalena geplant. Die betroffene Bevölkerung ist nicht zu dem Projekt konsultiert worden. Die Menschen leben vom Fischfang und anderen Tätigkeiten, deren Grundlage der Fluss und der Wald ist. (Die Regierung hat mit der betroffenen Bevölkerung vereinbart, eine öffentliche Anhörung zum Thema durchzuführen, doch diese Zusage wurde nicht eingehalten.) Die betroffene Bevölkerung hat im Februar 2012 friedlich gegen das Projekt demonstriert; der Protest wurde von den kolumbianischen Regierungsstellen gewaltsam niedergeschlagen.

Obwohl es Aufnahmen von Gewalthandlungen gibt, erklärte Präsident Santos: „Die Räumung wurde normal – unter strenger Einhaltung der Menschenrechtsbestimmungen – durchgeführt." Bei der Räumung wurden sieben Menschen verletzt; eine Person verlor ihr Augenlicht. Der Hersteller der Videoaufnahme, auf der die Räumung zu sehen ist, hat bereits Todesdrohungen erhalten. Ziel des Freihandelsabkommens EU-Kolumbien ist es, die Investitionen europäischer Unternehmen in Kolumbien zu steigern.

Über welche Garantien verfügt die Kommission, dass das FHA die sozialen Konflikte nicht verschärfen wird und dass die Regierung wirklich damit beginnen wird, vor der Durchführung solcher Megaprojekte die Bevölkerung zu konsultieren?

Wie kann sichergestellt werden, dass die Regierung nicht erneut mit repressiven Maßnahmen gegen die Bevölkerung vorgeht und die Bestimmungen des Völkerrechts über friedliche Proteste achtet (Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)?

Antwort von Herrn De Gucht im Namen der Kommission vom 24.4.2012

Die Kommission legt großen Wert darauf, dass das Urteil des kolumbianischen Verfassungsgerichts T‑769 über die Konsultierung indigener Gemeinschaften vor der Erkundung und Nutzung natürlicher Ressourcen in indigenen Gebieten befolgt wird. Die EU unterstützt die Entwicklung solcher Strukturen der vorherigen Konsultierung mit Hilfe der Programme, die über das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte wie auch über ihre Haushaltslinie für nichtstaatliche Akteure finanziert werden.

Außerdem ist die Kommission der Meinung, dass das vom Herrn Abgeordneten genannte Handelsabkommen adäquate Anreize zur Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte in Kolumbien enthält, insbesondere der Rechte indigener Völker und deren Vertreter. Die Zivilgesellschaft, und somit auch die Vertreter indigener Organisationen, wird von den Vertragsparteien im Rahmen der Konsultationsstrukturen nach Titel IX des Handelsabkommens (Handel und nachhaltige Entwicklung) regelmäßig gehört werden.

Die Kommission ist ferner der Ansicht, dass die einseitig durchsetzbare Menschenrechtsklausel im Handelsabkommen und die bindenden Verpflichtungen, grundlegende Arbeitsnormen effektiv anzuwenden und das nationale Arbeitsrecht wirksam durchzusetzen, wirkungsvolle Mechanismen sind, mit denen die kolumbianische Regierung an ihre Zusagen gebunden werden kann, die Unversehrtheit von Gewerkschaftsvertretern und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten.

Antwort des Rates vom 22.6.2012

Das Handelsübereinkommen zwischen der EU, Kolumbien und Peru enthält Anforderungen zum Sozial- und Umweltschutz und zielt dabei — durch einen speziellen Titel „Handel und nachhaltige Entwicklung" — auf einen hohen Schutzstandard ab. Die Bestimmungen des Titels sind ein Zeichen dafür, dass der Handel für die EU kein Selbstzweck ist, und dass Handelsbeziehungen nicht losge­löst von sozialen und umweltpolitischen Zielen der Vertragsparteien unterhalten werden sollten.

Die Anwendung des genannten Titels wird von den Parteien überwacht. Darüber hinaus ist eine wichtige institutionelle Entwicklung im Hinblick darauf vorgesehen, operative Kanäle für die Kon­sultation der Zivilgesellschaft zu gewährleisten: In Artikel 281 des Übereinkommens werden die Aufgaben interner Beratungsausschüsse oder -gruppen festgelegt, die aus Vertretern der Zivil­gesellschaft bestehen, und in denen wirtschaftliche, soziale und umweltpolitische Interessen in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten sind. Die betreffenden Ausschüsse oder Gruppen sind zu konsultieren und können auch von sich aus Empfehlungen abgeben.

Ferner sind die Achtung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Voraussetzung dafür, in den Genuss der Vorteile des Übereinkommens zu kommen. Nach Artikel 1 ist die Achtung der grundlegenden Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nie­dergelegt sind, ein „wesentlicher Bestandteil" des Übereinkommens.. Eine Missachtung der Men­schenrechte und demokratischen Grundsätze würde die Gegenpartei berechtigen, geeignete Maß­nah­men zu ergreifen, wozu auch die Möglichkeit gehört, das Übereinkommen ganz oder teilweise auszusetzen.

Das Übereinkommen ist zudem vor dem Hintergrund der allgemeineren Beziehungen zwischen der EU und Kolumbien zu sehen, bei denen die Menschenrechte eine wichtige Rolle spielen. Menschenrechtsfragen werden durch die bestehenden Mechanismen für den politischen Dialog wie den Menschenrechtsdialog mit Kolumbien regelmäßig zur Sprache gebracht.