"Welche Türkei wollen wir?" Der Gezi-Aufstand und die kurdische Bewegung

PRESSEMITTEILUNG von CIVAKA AZAD - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.

07.06.2013

Sebahat Tuncel, BDP-Abgeordnete aus Istanbul, sprach am Mittwoch auf dem Taksim-Platz. Gegenüber Civaka Azad erklärte sie: "Der Widerstand, der in den letzten 30 Jahren von den KurdInnen im Osten des Landes gegen einen anti-demokratischen Staat geführt wird, hat nun endlich auch mit dem Gezi Aufstand seine Entsprechung im Westen des Landes gefunden. Die AktivistInnen des Gezi-Aufstands erklären, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen aus dem jetzigen Widerstand angefangen haben die kurdische Bevölkerung zu verstehen. Das ist von besonderer Wichtigkeit. Es handelt sich um einen Volksaufstand gegen ein antidemokratisches Staatssystem."

Seit dem Ausbruch des Gezi Aufstands wird darüber spekuliert, welche Position die kurdische Bewegung in diesem Aufstand gegen das autoritäre AKP-Regime einnimmt. Vor allem aufgrund des Lösungsprozesses bezüglich der kurdischen Frage, der in diesem Jahr in Gang gesetzt worden ist, nährt sich das Gerücht, dass die kurdische Bewegung sich nicht solidarisieren würde, um diesen Friedensprozess nicht zu gefährden. Vergessen wird in diesem Zusammenhang, dass sie die einzige oppositionelle Bewegung in der Türkei ist, die seit dem Regierungsantritt der AKP gegen deren autoritären Regierungsstil Widerstand leistet und kontinuierlich für eine umfassende Demokratisierung der Türkei wirkt. Auch im Fall des Gezi-Parks war es der Abgeordnete der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Sirri Süreyya Önder, der unter Einsatz seiner Immunität als Parlamentarier am Tag vor dem ersten brutalen Polizeieinsatz die Fällung der Bäume im Gezi Park gestoppt hat.

Durch diese Aktion erlangte der Widerstand der UmweltaktivistInnen in Taksim nationale Aufmerksamkeit und entlud sich dann am Folgetag nach der Stürmung des Parks durch die Polizei zu einem landesweiten Aufstand gegen die Regierung.

Um die Position der kurdischen Bewegung zum Gezi Aufstand zu erläutern, dokumentieren wir im Folgenden Aussagen und Erklärungen aus den unterschiedlichen Spektren der kurdischen Bewegung:

Die BDP-Abgeordnete Sebahat Tuncel zum Gezi Aufstand

Sebahat Tuncel, BDP-Abgeordnete aus Istanbul, sprach am Mittwoch auf dem Taksim Platz zu den Aktivistinnen und Aktivisten. Tuncel erklärte, dass der Aufstand zu einer Politisierung der breiten Massen in der Türkei und in Kurdistan beigetragen hat. Gegenüber dem kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad äußerte sich Tuncel am 06.06.2013 wie folgt:

Der Widerstand, der in den letzten 30 Jahren von den KurdInnen im Osten des Landes gegen einen anti-demokratischen Staat geführt wird, hat nun endlich auch mit dem Gezi Aufstand seine Entsprechung im Westen des Landes gefunden. Die AktivistInnen des Gezi Aufstands erklären, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen aus dem jetzigen Widerstand angefangen haben die kurdische Bevölkerung zu verstehen. Das ist von besonderer Wichtigkeit.

Es handelt sich um einen Volksaufstand gegen ein antidemokratisches Staatssystem. Die Bevölkerung lernt für ihre Freiheit, ihre Rechte, ihre Natur zu kämpfen und dem Staat zu widersprechen. Beim Taksim Aufstand sind Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung vertreten. Zum ersten Mal leisten hier Menschen mit all ihren Unterschieden und verschiedenen Einstellungen gemeinsamen Widerstand. Wichtig ist auch, dass dieser Widerstand die Frage aufwirft, was für eine Türkei wir wollen. Diese Frage werden wir gemeinsam diskutieren - und indem wir die gegenseitigen Vorurteile, die vom Staat bewusst geschürt worden sind, niederreißen, werden wir auch eine passende Antwort darauf finden.

Auf die Frage, was sie zur vermeintlich passiven Haltung der kurdischen Bewegung beim Gezi Aufstand sagen möchte, begegnete Tuncel wie folgt:

Unser Abgeordneter Sirri Süreyya Önder gehört zu den ersten Menschen, die sich an diesem Aufstand beteiligt haben. Die erste öffentliche Stellungnahme einer Partei zu den Vorfällen erfolgte auch durch unsere Partei. Die BDP, mit ihrer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreienden Programmatik, ist nicht nur eine Unterstützerin dieses Aufstands, sie gehört zu ihren Vorreitern. Aber einige Kreise versuchen diese Tatsachen von ihren Bürosesseln aus zu verdrehen. Ich lade sie hier nach Taksim ein. Sie sollen sich selbst ein Bild davon machen, wer diesen Aufstand unterstützt. Sie werden vor allem auf Menschen treffen, die am stärksten unter dem antidemokratischen Charakter dieses Staates leiden. Sie werden auf viele Kurdinnen und Kurden treffen.

(Civaka Azad, 6.6., ISKU)