Weil es ohne nicht mehr geht ...
Rechtsanspruch aufs Konto bald EU-weit Realität ?
Müssen wir den Rechtsanspruch auf ein Girokonto gesetzlich verankern? Diese Frage steht derzeit auf der Tagesordnung, sowohl in den EU-Institutionen als auch in Bundestag und Bundesrat. Zu Recht, denn die Welt der Zahlungsmittel ist im Umbruch begriffen. Längst nicht mehr nur Miete, Strom und Telefon bezahlen wir bargeldlos - auch beim Supermarkt an der Kasse, am Fahrkartenschalter und selbstverständlich beim Online-Einkauf nutzen wir bargeldlose Zahlungswege. Wir erleben eine Entwicklung, die in Westdeutschland Ender der 1950er ihren Anfang genommen hat. Was war damals passiert?
Ordnungsgemäß verrechnen, abzählen, eintüten, auszahlen: Um 1000 Beschäftigten monatlich ihren Lohn auszuzahlen, beschäftigte ein westdeutsches Großunternehmen Mitte der 1950er durchschnittlich 30 Kassenwarte und Buchhalter. Doch damit sollte bald Schluss sein: 1957 machten in der Bundesrepublik Großunternehmen wie die Badische Anilin- und Sodafabrik oder die Hüttenwerke Oberhausen vor, dass es auch anders - und aus ihrer Sicht vor allem kostengünstiger - ging. Sie schafften die Lohntüte ab, richteten ihren Mitarbeitern Lohnkonten ein - und konnten drei von vier ihrer Buchhaltungsstellen einsparen.
Während viele Bürger damals Sparbücher kannten und etwa jeder Dritte Westdeutsche ein eigenes besaß, waren nur wenige wohlhabender Bürger mit dem Umgang mit einem eigenen Girokonto, mit Überweisungen oder Scheckbuch vertraut. In den Anfangsjahren der Lohnkonten - so berichtet es „Der Spiegel" vom 28.9.1960 - strömten die Ehefrauen der Arbeitnehmer weiter pünktlich zum Monatsersten nun zum Schalter ihrer Bank und ließen sich dort den überwiesenen Lohn in voller Höhe auszahlen.
Die Banken waren über diesen Zustand nicht nur glücklich, denn einem hohen Arbeitsaufwand an den Bankschaltern standen auf diese Weise kaum Möglichkeiten gegenüber, die Anlagen der neuen Kunden gewinnbringend anzulegen. Während Arbeiter und Beamte auf der einen Seite überzeugt wurden, das Scheckbuch zu zücken, entwickelten Banken und Unternehmen erste Verfahren des automatisierten Dauerauftrags.
Deutschland hat den Trend weg vom Bargeld selbstverständlich nicht alleine durchlaufen. Italien hat kürzlich Bargeldzahlungen über mehr als 1000 Euro verboten und immer mehr Supermärkte, Fahrkartenautomaten oder gar öffentliche Toiletten in den Niederlanden oder Schweden werden komplett auf Kartenzahlungen umgestellt. Die Eingangstür in diese „schöne neue Zahlungswelt" ist und bleibt dabei das Girokonto.
Während Bargeld als öffentliches Gut von den Zentralbanken auf eigene Rechnung zur Verfügung gestellt wird, werden Girokonten und Kreditkarten EU-weit von gewinnorientierten und vorwiegend privatwirtschaftlichen Anbietern auf den Markt gebracht. Mit Verbrauchern aber, die wenig verdienen, erwerbslos oder gar überschuldet, lässt sich nichts verdienen. Schätzungsweise eine Million Verbraucher in der Bundesrepublik und 57 Millionen Bürger in der EU müssen sich deshalb heute durch einen Alltag ohne Girokonto kämpfen. Dieser Zustand ist unhaltbar. Die EU-Kommission hat am 8. Mai eine Richtlinie vorgelegt, die den Rechtsanspruch auf ein Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen EU-weit durchsetzen soll.
Die Richtlinie, die Banken auch zwingen soll, ihre Gebühren und Zinsen offen zu legen und vergleichbar zu machen, würde insbesondere Verbrauchern in der Bundesrepublik entscheidend den Rücken stärken. Denn während Bankkunden in unseren Nachbarländern, u.a. in Dänemark, Belgien, Niederlande und Frankreich das Recht auf ein Konto längst rechtlich abgesichert wissen, hinkt Deutschland seit Jahren hinterher. Das besondere an der EU-Richtlinie wäre aber - auch gegenüber bereits bestehenden nationalen Gesetzen - dass erstmals auch Migranten voll von den neuen Rechten profitieren sollen: Banken sollen Konten grundsätzlich diskriminierungsfrei und unabhängig vom Wohnsitz anbieten.
Für das EU-Parlament - aber auch für die Linke - ist die Vorlage der Richtlinie ein großer Erfolg. Als zuständiger Verhandlungsführer war es mir 2012 gelungen, eine breite Mehrheit des Hauses von der Notwendigkeit dieses neuen sozialen Grundrechts zu überzeugen. Wenn die Mitgliedsstaaten sich nicht querstellen, könnten die neuen Verbraucherrechte bereits 2015 Realität sein.
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