Kurdenfrage: Die Zeit der Versprechen muss zu Ende gehen

Eröffnungsrede auf der 10. Internationalen EUTCC-Konferenz 'EU Türkei Kurden'

05.12.2013
Jürgen Klute

Liebe Freundinnen und Freunde, Liebe Gäste,

Bevor ich beginne, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen, dass wir aus technischen Gründen hier keine kurdische Simultan-Verdolmetschung anbieten können. Trotzdem freue ich mich sehr, hier als Koordinator der Parlamentariergruppe ‚EU-Kurdistan' reden zu dürfen.

Von den zehn Konferenzen dieser Reihe, die im Europäischen Parlament stattfinden, ist dies die vierte, an der ich teilnehmen darf. Wir dürfen nicht vergessen, dass historische Veränderungen – und die Lösung der Kurdenfrage ist so eine historische Veränderung – eine Unmenge an Geduld und Beharrlichkeit brauchen. Über Lothar Bisky, unseren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, der im Sommer dieses Jahres viel zu früh verstorben ist, hat man auch gesagt, er habe jene Geduld mitgebracht, die es für solche Veränderungsprozesse brauche: eine „revolutionäre Geduld". Ich wünsche euch und uns allen, die wir für die Lösung der Kurdenfrage eintreten, dass wir die nötige Geduld nicht verlieren.

Wir haben eben ein Grußwort des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, gehört. Er hat den Kurden seiner Unterstützung und der Unterstützung des Europäischen Parlaments versichert. Auch wenn es schade ist, dass Herr Schulz hier nicht persönlich sein konnte, finde ich das trotzdem ein gutes Zeichen. Das Europäische Parlament hat seine Unterstützung für den Friedensprozess früh unterstrichen. Ich möchte an die Debatte erinnern, die im Februar in Straßburg stattfand. Es war eine konstruktive Debatte. Beinahe jeder Redner hat damals sein Bestürzen über die brutale Ermordung von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez zum Ausdruck gebracht und das gesamte Parlament hat das Leben der Frauen in einer Schweigeminute gewürdigt.

Auch die internationalen Medien haben den Friedensprozess aufmerksam verfolgt. Nach Jahren, in denen die Identität und die Forderungen der Kurden totgeschwiegen wurden, hat sich das Blatt dieses Jahr gewendet. Die Zeit der Tabus und des Totschweigens geht zu Ende. Im Zeitalter der Medien und der Information ist das eine Nachricht, die man nicht hoch genug bewerten kann.

In diesem Jahr des Wandels wurde viel spekuliert über die Zukunft der Türkei und der Region. Viele Beobachter sprachen davon, dass es eine neue Allianz in der Türkei gebe. Davon dass Erdogan gemeinsam mit Unterstützung der BDP eine neue präsidiale, möglicherweise autoritäre Verfassung durchsetzen würde. Es hat sich aber gezeigt, dass die BDP sich von Erdogan nicht hat instrumentalisieren lassen. Das ist ihr gutes Recht. Es mag ein Grund dafür sein, dass der Friedensprozess von der Regierung derzeit blockiert wird.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch betonen: In den Augen der internationalen Öffentlichkeit, in den Augen der europäischen Instutitutionen, der EU-Kommission, und – ich bin mir sicher – auch in den Augen der türkischen Bevölkerung hat sich die BDP mit ihrem verantwortungsvollen Agieren und ihrer Unabhängigkeit großen Respekt verdient. Ebenso wenig wie die BDP sich nicht hat instrumentalisieren lassen, bin ich auch zuversichtlich, dass sich die Kurden und Kurdinnen in der Türkei nicht werden täuschen lassen.

Die Lösung der kurdischen Frage braucht mehr als Worte, Versprechen oder Show-Auftritte. Die Tatsache, dass der Premierminister der Türkei Amed besucht, sollte nicht als Ereignis an sich begangen werden. Es sollte Normalität werden, aber keinesfalls ein Ersatz für die Umsetzung von Versprechen. Die Kurden, genauso wie die internationale Öffentlichkeit, erwarten von der türkischen Regierung Taten und ein Ende der Hinhalte- und Verzögerungstaktik. Ich sehe absolut keinen Grund, wieso zentrale Schritte der Demokratisierung der Türkei weiter aufgeschoben werden sollen.

Dazu gehört die Freilassung der unrechtmäßig festgehaltenen kurdischen Aktivisten, der Mandatsträger der BDP und der unabhängigen türkischen und kurdischen Journalisten. Der KCK-Prozess ist ein Schandfleck für die Türkei und muss unverzüglich in die Bahnen der Rechtsstaatlichkeit umgeleitet werden, was nichts weiter als eine Freilassung der politischen Gefangenen bedeuteten kann. Die Herabsetzung der 10%-Hürde, die Sicherung der Medienfreiheit und eine ehrgeizige Sprachreform sind so dringend, dass sie keinen weiteren Aufschub auf die Zeit nach den jeweils nächsten Wahlen vertragen.

Es ist ebenfalls bedauerlich – das zeigt sich jetzt, dass die türkische Regierung sich jeder Vermittlung oder Begleitung des Friedensprozesses von dritter Seite verschlossen hat. Es bleibt Zeit, diese Position zu überdenken. Vermittlung von außen ist kein Zeichen von Schwäche. Beide Konfliktparteien würden damit unterstreichen, dass sie es ernst meinen und an einem gerechten und dauerhaften Frieden interessiert sind. Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass die gemeinsame parlamentarische Versammlung EU-Türkei eine solche Aufgabe übernehmen könnte. Dies wäre ein guter Kompromiss, weil in dieser Versammlung sowohl türkische als auch europäische Abgeordnete vertreten sind. Die gemeinsame Versammlung trifft sich morgen und übermorgen in Ankara. Ich werde meinen Vorschlag dort erneut unterbreiten. Meine Teilnahme an dieser Versammlung ist auch der Grund, wieso ich diese Konferenz leider nicht bis zum Ende begleiten kann.

Ich wünsche euch deshalb an dieser Stelle bereits eine erfolgreiche Konferenz. Ich hoffe, dass sie uns allen eine Ermutigung ist, mit Geduld und Energie für Frieden und Selbstbestimmung zu kämpfen.

Brüssel, 4.12.2013

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