"Die Rating-Agenturen spielen eine Rolle, die ihnen eigentlich nicht zusteht"

INTERVIEW mit Jürgen KLUTE zu Plenumsdebatte, erschienen auf Website des EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

16.06.2010

Die oft falschen Einschätzungen der Solidität von komplexen Finanzmarktprodukten haben schon im vergangenen Jahr zu massiver Kritik an den Rating-Agenturen geführt. Mittlerweile rückt zusätzlich ihre Rolle ins Blickfeld, was die Refinanzierungskosten für Staatsschulden angeht. Denn die Herbabstufung der Kreditwürdigkeit durch die Agenturen führt fast unweigerlich dazu, dass höhere Zinsaufschläge für Staatsanleihen gezahlt werden müssen.

Im Vorfeld einer verstärkten Regulierung der Agenturen haben mehrere Europa-Abgeordnete parlamentarische Anfragen an die Kommission gerichtet. Einer von ihnen ist der Linken-Abgeordneten Jürgen Klute. Er erklärt im Interview wonach es aus seiner Sicht geht.

Herr Klute, wie schätzen Sie die Rolle der Rating-Agenturen im Vorfeld und im Verlauf der Finanzkrise ein? Sehen Sie Interessen-Konflikte?

Kreditrating-Agenturen haben in den Krisen der 1990er Jahren versagt und auch im Fall ENRON zu Beginn dieses Jahrzehnts. Sie haben falsche Analysen zu den Finanzprodukten geliefert, die auf US-Immobilienkrediten basierten und sie haben der Lehman-Brothers-Bank selbst dann noch gute Noten gegeben, als diese schon am Schwanken war.

Die drei großen Rating-Agenturen – Standard & Poor's, Moody's und Fitch – sind Privatunternehmen. Man räumt ihnen die Rolle eines Schiedsrichters ein, gleichzeitig sind sie aber Spieler auf den Finanzplätzen und versuchen möglichst hohe Renditen zu erzielen.

Momentan zahlt, wer Wertpapiere auf den Markt bringt, für die Bewertung der Produkte. Wenn die Investoren [die Käufer der Wertpapiere] und nicht die Emittenten für verschiedene unabhängige Gutachter zahlen würden, dann konnte man ein Mindestmaß an Fairness in diesem Spiel erreichen.

Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Rating-Agenturen die Kreditkosten für ganze Volkswirtschaften in die Höhe treiben, wenn sie ein Land herabstufen. Wie bewerten Sie den Einfluss der Agenturen in dieser Hinsicht?

Man darf Staaten nicht mit Firmen verwechseln. Staaten organisieren das Zusammenleben einer Gesellschaft. In der aktuellen Krise geht es aber nicht so sehr um die Verwechselung von Staaten und Firmen. Mir scheint es vielmehr so, dass die Agenturen Panik stiften, basierend auf der – eigentlich nicht besonders plausiblen – Einschätzung, dass die südlichen EU-Staaten zahlungsunfähig werden. Sie ermutigen damit die Spekulation.

Sehr hohe Zinsen für griechische Kredite mag der Rekapitalisierung der internationalen Banken dienen, aber letztlich verspielen die Agenturen ihre Glaubwürdigkeit. Statt Risiken zu analysieren, schaffen die Agenturen derzeit Risiken.

Was kann getan werden, damit die Tätigkeit der Rating-Agenturen den gesamtwirtschaftlichen Interessen in Europa dient?

Sogar die Europäische Kommission stimmt nun endlich darin überein, dass es einer öffentlichen Aufsicht bedarf, damit die Agenturen neue und strenge Regeln einhalten. Die Macht, die private Rating-Agenturen über das öffentliche Leben ausüben konnten, wurde missbraucht, daher müssen wir nun diese Macht begrenzen.

Aber ich bezweifle, dass das ausreichen wird. Nach der Privatisierung ehemals öffentlicher Banken ist das grundlegende Problem für die meisten europäischen Länder ihre Abhängigkeit von den Finanzmärkten. Die Europäische Zentralbank muss ihre Politik auf den Prüfstand stellen und von den Nachbarn lernen.

Die Agenturen haben in Bezug auf Staatsanleihen eine quasi-offizielle Rolle angenommen, die ihnen nicht zusteht. Wir brauchen außerdem Euro-Bonds, die eine Umfeld schaffen würden, in der Spekulation gegen Euro-Mitglieder erschwert würde.

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Sie können das Interview und ein Video zum Thema auch auf der Website des Europäischen Parlaments nachlesen - hier!