Kostenfaktor Mensch?

REZENSION von Uta SPÖRI, erschienen auf MARX21.de

Uta Spöri über das Buch »Privatisierung von Krankenhäusern. Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Beschäftigten«

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems endgültig ausgehebelt. Der Patient ist nicht mehr kranker Mensch, der so schnell und so vernünftig wie möglich gesund werden soll, sondern Kunde. An ihm werden Dienstleistungen erbracht, die sich finanziell lohnen müssen. Das Abrechnungssystem nach Fallpauschalen wurde genau zu diesem Zweck eingeführt. Zudem existiert so gut wie kein deutsches Krankenhaus mehr, an dem nicht Teile wie beispielsweise der »Servicebereich« ausgelagert worden sind.

Verschiedene Wissenschaftler des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung haben nun einen Sammelband herausgegeben, in dem sie Betriebsräte, Gewerkschafter und Wissenschaftler zu diesen Entwicklungen zu Wort kommen lassen.

Das Buch bewegt sich durch seine Herangehensweise nah an der Realität. Die Autorinnen und Autoren beleuchten die ökonomischen und sozialen Hintergründe wie auch die Entwicklung im europäischen Raum, wo Deutschland in Bezug auf Privatisierungen und Abrechnungssystem als Vorreiter gilt. Zudem beschäftigen sie sich mit dem eher abschreckenden Gesundheitssystem der USA.

Thorsten Schulten, wissenschaftlicher Referent, und Nils Böhlke, Doktorand am WSI, untersuchen in ihrem Beitrag die Privatisierung von Krankenhäusern in Deutschland und ihre Auswirkung auf Beschäftigte und Patienten. Sie zeigen dabei auf, dass massive Absenkungen des Lohnniveaus, häufig tariflose Zustände, weniger Personal und dadurch immens verdichtete Arbeitsbelastung die Folgen sind. Ablesen lässt sich das am rechnerischen Verhältnis von Beschäftigten zu belegten Betten: Während ein Arzt in einem größeren öffentlichen Haus im Jahr 2008 rechnerisch im Durchschnitt an 780 Tagen belegte Betten zu versorgen hatte, kamen auf seine Kollegen in einer größeren privaten Klinik 936 Belegtage - und damit rund 20 Prozent mehr. Leidtragende sind die Patienten.

In weiteren Beiträgen werden anhand des Verkaufs des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg an Asklepios, der Privatisierung des Universitätsklinikums Marburg und Gießen sowie des Krankenhauses Berlin-Buch dargestellt, was Privatisierung in der Praxis bedeutet.

Thomas Böhm, Personalratsvorsitzender des Klinikums Stuttgart und Bezirksvorsitzender von ver.di Stuttgart, erklärt in seinem Beitrag detailliert, warum das Klinikum Stuttgart im Eigenbetrieb verbleiben muss. Der Europaabgeordnete der LINKEN Jürgen Klute erläutert hingegen die fatale Entwicklung der Privatisierung kirchlicher Krankenhäuser. Und der ver.di-Vertreter Michael Wendl zeigt auf, wie öffentliche Krankenhäuser zu kapitalistischen Unternehmen werden.

Für sehr wichtig halte ich persönlich den letzten Beitrag, in dem Wolfgang Anschütz, Gewerkschaftssekretär von ver.di in Sachsen, berichtet, wie der Verkauf der Elblandkliniken durch ein erfolgreiches Bürger­begehren verhindert wurde. Hier und auch in anderen Artikeln wird deutlich, wie wichtig gewerkschaftliche Betriebsarbeit und der Kampf um breite tarifliche Absicherung sind. Positiv ist zudem hervorzuheben, dass die fundierten und gut recherchierten Beiträge zahlreiche Quellen und Literaturangaben zum Weiterlesen liefern. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit.


Das Buch:

  • Nils Böhlke u.a. (Hrsg.): »Privatisierung von Krankenhäusern. Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Beschäftigten«, VSA-Verlag, Hamburg 2009, 253 Seiten, 18,80 Euro

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Die Rezension ist im Original auf der Website www.marx21.de erschienen

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