Im Raumschiff

BERICHT von UWE SATTLER, NEUES DEUTSCHLAND zur HERBSTAKADEMIE der LINKEN IM EUROPAPARLAMENT

19.10.2012

Zum ersten Mal luden die LINKE-Abgeordneten im Europäischen Parlament zur Herbstakademie ein

Drei Tage lang informierten sich »interessierte Laien« über die EU-Politik, ihre Folgen für die Mitgliedsstaaten und die parlamentarische Arbeit der Linksfraktion in der »europäischen Volksvertretung«. Das viel zitierte Raumschiff Brüssel, so erfuhren die Besucher, hat sich von der Realität weit weniger entfernt, als es mitunter den Anschein hat.

Die beiden jungen Männer passen nicht ins Bild. Montagabend, Flughafen Brüssel, Expressbus ins Europaviertel. Zwischen all den dunkelblauen Anzügen und grauen Kostümen, zwischen Aktenkofferträgern und Frauen mit Laptoptaschen fallen das T-Shirt mit dem »Antifaschistische Aktion«-Schriftzug und die wuchtigen Rücksäcke auf. Daniel Förster und Sven Kindervater sind auch nicht auf dem Weg zur EU-Kommission - sondern zur 1. Herbstakademie der LINKE-Delegation im Europäischen Parlament.

Auf dem Weg ins Plenum - Innenansicht aus dem Brüsseler Parlamentsgebäude

Ein gutes Dutzend Teilnehmer hatten die acht Abgeordneten der deutschen Linkspartei in der vergangenen Woche nach Brüssel zu der Premierenveranstaltung eingeladen, um »Europa« hautnah zu präsentieren. Sie kamen aus Brandenburg und Thüringen, Bayern und Sachsen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, waren Studenten, Lehrer, arbeiteten bei Verbänden oder in Büros der LINKEN. »In den Landesverbänden gibt es großes Interesse daran zu verstehen, wie die Europäische Union funktioniert und was wir im Europäischen Parlament als Linke bewerkstelligen können«, erläutert Gabi Zimmer, Abgeordnete der LINKEN und zugleich Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion GUE/NGL, die Motive für die Herbstakademie. »Für uns ist es wichtig, dass wir in den Landesverbänden dazu beitragen können, dass DIE LINKE sich mit europäischer Politik auseinandersetzt, dass die Menschen besser Bescheid wissen über die Verknüpfung von europäischer und nationaler Ebene. Es geht um eine linke Handlungsfähigkeit, die von Brüssel bis in die Kommunen ineinandergreifen muss.« Gerade das fehlende Wissen über »unheimlich komplexe Vorgänge«, die auf EU-Ebene abliefen, rufe bei nicht wenigen ein Gefühl der Hilflosigkeit hervor, das oftmals in eine Abwehrhaltung gegenüber dem Thema Europa münde. »Unsere bisherigen Informationsmöglichkeiten, von Besuchergruppen bis hin zur Gestaltung von Wahlkreiswochen mit europäischen Themen, reichen einfach nicht aus. Für die Vermittlung von linker Politik in Europa brauchen wir Multiplikatoren, Menschen, die die Integration kritisch begleiten, aber auch für sie offen sind.«

Solche Multiplikatoren sind Sven Kindervater und Daniel Förster, beide studierte Politikwissenschaftler, beide aktiv bei der LINKEN. Sie bestätigen den Eindruck der Fraktionschefin: »Europa begegnet einem doch immer wieder, man hört hier von einer Richtlinie, dort von einem Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung, aber die Hintergründe kann man schwer begreifen«, meint Sven. Und Daniel ergänzt: »Im Studium wurde viel Wissen über die EU vermittelt, aber wie das Zusammenspiel des Parlaments mit den anderen europäischen Institutionen, mit den Regierungen und anderen Gremien ganz praktisch funktioniert und welche Reibungspunkte es dabei gibt, das lernt man nicht.«

In dieser Frage konnte Martina Michels in ihrem Einführungsvortrag schon mal Nachhilfe geben. Die Berliner Linkspolitikerin sitzt als Vorsitzende des Europaausschusses des Abgeordnetenhauses im Ausschuss der Regionen der EU, eine Art »Bundesrat« auf europäischer Ebene. Die Regionen hätten sich in den vergangenen Jahren immer stärker Gehör verschafft - im zähen Ringen mit Rat und Kommission, nicht selten durch das Schließen von Kompromissen. Das ständige Bestreben, linke Positionen einzubringen und dafür auch fraktionsübergreifend zu arbeiten, zog sich wie ein roter Faden durch die folgende Vorstellung der Abgeordneten und ihrer jeweiligen Ausschüsse - und die mitunter auch kontrovers geführten Diskussionen: Soll die Linke in Einzelfragen zurückstecken, wenn wenigstens kleine Veränderungen erzielt werden können? Mit wem kann man zusammengehen, im Parlament und außerhalb? Wie ist es, wenn auch in der GUE/NGL nationale Interessen mitunter näher liegen als linke Grundfesten in Sachen Europa?

Dass die Differenzen in der Linksfraktion nicht nur in Einzelfragen wie der Kernenergie groß sind, räumt auch Gabi Zimmer ein. »Das Grundproblem bleibt die Haltung zur Europäischen Union«, sagt sie. »Ist die EU es wert, dass wir Linke uns für ihre Erhaltung, ihre Verbesserung, ihre Demokratisierung einsetzen sollen?« Die Frage ist bei linksorientierten Parteien quer durch Europa unbeantwortet. Dabei müssten sich die Parteien den Herausforderungen stellen, wie Anna Striethorst und Roland Kulke vom Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung betonten. Das Büro, das sich sowohl als linke »Denkfabrik« wie als »Netzwerker« zwischen Parteien, Bewegungen und anderen Akteuren versteht, präsentierte sich den »Herbstakademikern« als einer der wichtigsten Partner der GUE/NGL-Fraktion.

Klar, dass Sven Kindervater und Daniel Förster zu Hause über ihre Eindrücke von praktischer Europapolitik berichten werden. Daniel kann sich sogar vorstellen, bei einer der EU-Institutionen zu arbeiten. Dazu aber müssten Familie und Job in Einklang zu bringen sein, sagt der junge Vater. Über dieses Thema allerdings wurde auf der Herbstakademie nicht gesprochen.

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