Aus dem Pott ins Parlament

von Marion KRETZ-MANGOLD, erschienen auf WDR.DE

28.02.2009

Ein Mann der Kirche, Sozialist, im Ruhrgebiet zuhause: Für die Linkspartei ist Jürgen Klute der ideale Kandidat. Also entschied die Parteispitze, dass der Herner nach Straßburg muss. Allerdings hat am Wochenende (28.02./01.03.09) in Essen die Basis das Wort - und da droht Streit.

Der Kandidat

In Duisburg ruft ein prominenter Linker zum Boykott israelischer Waren auf - und wird von den Parteioberen gerügt. In Essen weigert sich die Basis, die umstrittene Sahra Wagenknecht als Bundestagskandidatin aufzustellen. Und dann berichten die Zeitungen vor dem Essener Treffen der Linkspartei vor allem über das Gerangel um die Europa-Kandidaten. "Das spricht für eine gewisse Nervosität im konservativen Lager, dass die sich so mit uns beschäftigen", quittiert Jürgen Klute die Negativschlagzeilen der vergangenen Tage, und es klingt fast aggressiv. Aber dann schiebt er nach: "Naja, aber es nützt nichts, sich darüber zu beklagen." Klare Worte, gemildert durch Versöhnlichkeit: Ein Beton-Kopf scheint Klute nicht zu sein.

Klute ist vieles andere: evangelischer Theologe, der in Dorsten unter Tage, an einer Berufsschule als Pfarrer und in Brasilien mit kleinen Gemeinden gearbeitet hat. Gewerkschafter und Landtagswahlkandidat der WASG, der westlichen Hälfte der heutigen Linkspartei, wo er im Parteivorstand sitzt. Und jetzt Kandidat für die Europawahlen auf einem aussichtsreichen Platz. Selbst wenn die Umfrageergebnisse für die Linkspartei, die Mitte Februar bundesweit bei elf Prozent lagen, dramatisch einbrechen sollten: Klute ist auf jeden Fall dabei.

Nokia, Siemens und Europa

Politische Schulung auf der Straße

Er selber findet das nur logisch. "Ich habe mich schon immer mehr für Europapolitik interessiert als für Landespolitik", sagt er. Das Interesse wurde ihm quasi aufgezwungen: "Wir haben hier im Ruhrgebiet Nokia erlebt, Siemens, BenQ. Wir werden ständig mit dem Thema Standortkonkurrenz konfrontiert." Natürlich seien auch Fördergelder aus Brüssel geflossen, "aber die Menschen haben das sehr hart zu spüren bekommen." Und er erzählt, dass er immer wieder Sondergottesdienste bei Werksschließungen organisiert und da die Predigt gehalten hat.

Also kämpft er gegen die Europäische Union. Da geht es ihm nicht darum, ob es Europa gibt, sondern wie Europa aussieht - das ist ihm wichtig, und da hat er klare Vorstellungen. Er will, dass die Interessen der Arbeitnehmer besser geschützt und die Militarisierung der EU gestoppt werden. Er will den Lissabon-Vertrag verhindern, weil der Grundrechte aushebele und den freien Markt zu sehr stärke. Und er will, dass dieser freie Markt nicht gemeinnützige Arbeit wie die Erwachsenenbildung der Kirche, wo er arbeitet, unmöglich macht. Das alles hat er im Dezember der Parteispitze in Berlin vorgetragen. Die war überzeugt und setzte ihn auf Platz sechs der Liste.

Kampf um Politik und Personal

Auf neuem Kurs: Parteichefs Lafontaine und Bisky

Dass Klute da überhaupt hinkam, hat allerdings Gründe, die nicht nur mit seinem Lebenslauf zu tun haben. "Ich bin keine Verlegenheitslösung", sagt er zwar. Aber die Parteispitze brauchte dringend eine neue Mannschaft für Straßburg. Nicht alle der sieben Abgeordneten, die noch vor der Fusion zur Linkspartei für die PDS ins Parlament eingezogen waren, mochten der neuen Parteilinie folgen. "Die waren zu unkritisch, was Europa betrifft", sagt Michael Bruns, ein NRW -Linker, der mit über die Kandidatenliste abgestimmt hat. "Das waren Hardliner."

Kämpft um seinen Posten: André Brie

Einer dieser pro-europäischen "Hardliner" ist André Brie, einer der früherern PDS-Vordenker und bisher Chef der deutschen Linken-Delegation in Straßburg. Der hatte sich auch in Berlin beworben, auch für den Listenplatz sechs, aber gegen Klute verloren. Brie hat aber schon angekündigt, dass er in Essen wieder antreten wird. Da entscheiden dann nicht Delegierte über die Kandidaten, sondern eigens gewählte Vertreter mit zum Teil starken ostdeutschen Präfenerenzen. "Ich befürchte, das wird sehr spannend", sagt Michael Bruns.

Es wird eine lange Nacht

Abgestimmt wird zum Schluss

Und Jürgen Klute? Glaubt er, dass ihm Bries Kampfkandidatur gefährlich wird? Er zögert, sagt dann: "Die Liste gibt das Meinungsbild der Partei wieder." Und wenn er die Position der Mehrheit vertrete, sei es legitim, ihn und nicht Brie auf die Liste zu setzen. "Aber ich will da keinen Fight daraus machen."

Da sind sie wieder, die Worte, die versöhnlich und zugleich selbstbewusst klingen. Ob Klute Grund dazu hatte, wird er irgendwann zwischen Samstagnacht und Sonntagabend wissen, wenn die Delegierten sich geeinigt haben. Und dann kann er sich auch Gedanken um den Wahlkampf machen.