Gipfelgeschwätz: "Wirtschaftsregierung" und fehlende Regulierung der Finanzbranche

06.06.2011
Birgit Daiber für Neues Deutschland

Plötzlich wird das alte französische Projekt einer europäischen Wirtschaftsregierung wieder aus der Mottenkiste gezogen. Aber was einmal als Koordinierung von Industriepolitik, Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und Kohäsion gedacht war, wird heute von Merkel und Sarkozy umgedreht zu einem Disziplinierungsinstrument der vor allem von Deutschland geforderten Austeritätspolitik gegenüber den »schwachen« Staaten der EU. Und der Höhepunkt des Zynismus ist, dass die dafür eigentlich notwendige Korrektur des Lissabonner Vertrags dadurch umgangen werden soll, dass die Maßnahme als zwischenstaatliches Projekt, als Zusammenarbeit der Regierungen, und damit ohne Beteiligung von Europäischem Parlament und EU-Kommission durchgesetzt wird.

Es ist schon abenteuerlich, mit welcher Unverfrorenheit man hier versucht, in die falsche Richtung weiterzulaufen. Ein Kriseninterventionsfonds plus Austeritätspolitik plus weitere Deregulierung sollen helfen, Spekulationsattacken auf die Euro-Staaten abzuwenden und die Volkswirtschaften anzukurbeln. Damit ist aber zugleich der Rahmen für die existenziellen Lebensbedingungen der Menschen in der EU gesetzt, und der führt unmittelbar zum Abbau von Sozialrechten: zur Einschränkung von Arbeitnehmerrechten in Italien, zum Abbau sozialer Schutzsysteme in Frankreich, Griechenland und Irland.

Sozialpolitik und Arbeitnehmerrechte sind nationale Politiken und die sozialen Kämpfe werden national ausgefochten. Die sozialen Bewegungen tun sich sehr schwer, sich europäisch zu verbinden. Aber die Schuldenkrise und die gemeinsame Währung sind unmittelbar europäisch. Im Jahr drei der Schuldenkrise gibt es nach wie vor keine wesentlichen Regulierungen der Finanzmärkte. Ungeheure Mengen des spekulativen Kapitals rasen weiterhin um den Globus und suchen nach spekulativen Anlagemöglichkeiten.

Die Spekulation auf Lebensmittel, Land-Grabbing und die Spekulation auf Bodenschätze in Schwellen- und Entwicklungsländern sind die jüngsten Erscheinungsformen der desaströsen Auspressung des Planeten, während es in Europa momentan die Spekulation auf die Staatsanleihen verschuldeter Euro-Länder ist, die das gesamte Gefüge der EU in Gefahr bringt. Durch den Kriseninterventionsfonds und die Haushaltsdisziplinierung der Länder ist dieser Prozess nicht aufzuhalten.

Der Euro ist keineswegs gesichert. Das Hauptproblem ist nach wie vor die Regulierung der Finanzmärkte. Und nach wie vor sind es die wesentlichen, von der Linken geforderten Instrumente, die auf die Tagesordnung gehören: die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, das Verbot von kriminellen Finanzinstrumenten, insbesondere des Leerverkaufs von Derivaten, und eine Reform des Weltwährungssystems. Diese Forderungen sind aktueller denn je und keinesfalls ersetzbar durch weitere vernünftige Forderungen, wie die nach der Schaffung von Euro-Bonds.

Und diese Forderungen dürfen auch nicht dem Ränkespiel der Regierungen überlassen werden, die mal hier, mal da mit einzelnen Forderungen spielen, wenn es fürs eigene öffentliche Erscheinungsbild gerade opportun erscheint. Finanzpolitik von links muss sich europäisch und international vernetzen, sich wetterfest machen und nicht aufhören, um eine alternative europäische und internationale Finanzarchitektur zu kämpfen. Das jetzt in Brüssel entstehende Netzwerk »Finance-Watch«, an dessen Aufbau von der Linken vor allem der Europaabgeordnete Jürgen Klute beteiligt ist, ist ein sachter Anfang und der Versuch, eine kritische Öffentlichkeit auf Brüsseler Ebene zu schaffen.

Die Autorin leitet das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.