Linke Warnung vor Lissabon
von JÜRGEN KLUTE, erschienen in JUNGE WELT (*abgeschrieben)
Die europäische Regierungselite feiert die Bestätigung des Lissabon-Vertrages beim zweiten Referendum. Gleichzeitig versprechen sie der Bevölkerung, sich um eine sozial verträgliche Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise zu bemühen. Dabei wird verschwiegen, daß mit einer Annahme der EU-Reform neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitiken für alle Mitgliedsstaaten gesetzlich festgeschrieben werden.
Verständlich also, daß Konservative und Marktradikale den Ausgang des zweiten irischen Referendums zum Lissabon-Vertrag bejubeln. Rätselhaft hingegen, wie sozialdemokratische und grüne Parteien diesen Schritt gegenüber ihren Anhängern in Zukunft vermitteln wollen. Denn gerade Grüne und Sozialdemokraten treten immer wieder mit der Forderung nach einer Besteuerung internationalen Kapitalverkehrs auf – Politik also, die europäisches Recht nach Lissabon definitiv ausschließt.
Ein seit letzter Woche vorliegendes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages spricht eine deutliche Sprache: Alle Steuerarten, die den Finanzsektor auf ein verträgliches Maß beschneiden sollen, sind mit den Bestimmungen des Lissabon-Vertrages unvereinbar. Praktisch ausnahmslos verbietet dieser, den freien Kapitalverkehr – eine Grundfreiheit des EU-Binnenmarktes – einzuschränken. Die Richtlinie 2008/7/EG untersagt den Mitgliedsstaaten, Steuern auf Kapitalverkehr zu erheben, sofern diese nicht schon vor In-Kraft-Treten der Richtlinie eingeführt waren. Ferner stimmen alle Staaten, die den Lissabon-Vertrag ratifizieren, auch dem generellen Vorrang von EU-Recht gegenüber dem Recht der Mitgliedsstaaten zu.
Auf meine im Wirtschaftsausschuß gestellte Frage an den zuständigen EU-Kommissar László Kovács, wie er diese Rechtslage einschätze, hüllte dieser sich in Schweigen. Grüne und Sozialdemokraten reagierten irritiert, als hätte die Linke nicht schon lange genug vor den unsozialen Folgen des Lissabon-Vertrags gewarnt.