Anmerkungen zur neuesten „Petersberger Erklärung"
von JÜRGEN KLUTE, erschienen in PUBLIK FORUM (Nr. 2)
Sucht man nach der „Petersberger Erklärung" im Internet, werden einem dort unter diesem Titel eine ganze Reihe Texte angeboten. Hier geht es um die aktuellste dieser Erklärung – um die vom 1. Dezember 2008 mit dem Untertitel „Antöße für eine zukunftsgerichtete Arbeitsmarktpolitik". Zusammen mit Klaus F. Zimmermann, dem Präsidenten des DIW Berlin, geben weitere fünf Ökonomieprofessoren in dieser Erklärung ihre Ansichten zum Thema der Öffentlichkeit bekannt.
Seit Wochen ist die Rede davon, die gegenwärtige Finanzkrise sei zugleich auch eine fundamentale Krise des Neoliberalismus, wenn nicht sogar sein Ende. Den Ausführungen dieser neuesten der Petersberger Erklärungen ist davon allerdings nichts anzumerken. Denkbar, dass diese Entwicklung gerade unbemerkt an den ökonomisch-wissenschaftlichen Elfenbeintürmen des Autorenkollektivs vorbeischlittert, passt doch diese Entwicklung so ganz und gar nicht in das geschlossene Weltbild des Neoliberalismus.
Die unterbreiteten Vorschläge jedenfalls sind nichts anderes als eine Aneinanderreihung der ewig gleichen neoliberalen Rezepte für den Arbeitsmarkt, die sich seit Jahren beschäftigungspolitisch als wirkungslos erwiesen haben. Erfolgreich waren sie allerdings als Instrumente der Umverteilung von unten nach oben, als Instrumente zur Durchsetzung des „working poor" und zur politischen Schwächung der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften.
Insofern würde sich eine Kenntnisnahme der Erklärung erübrigen. Sie enthält allerdings einen hoch brisanten Punkt, der aufhorchen lässt. In dem Abschnitt „Soziale Dienste marktfähig machen" fordern die Autoren eine Überprüfung der Gemeinnützigkeit. Diese stelle eine Wettbewerbsverzerrung seitens der gemeinnützigen Träger sozialer Dienste dar gegenüber den privatwirtschaftlichen. Caritas und Diakonie sind mit rund 1,1 Millionen Beschäftigten die beiden mit Abstand größten der frei-gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände. Nach den Vorstellungen der Wissenschaftler soll dieser gesamte Sektor der profitorientiert arbeitenden Privatwirtschaft angeglichen werden. Das Angebot sozialer Dienste wäre dann nicht mehr wie bisher bedarfsorientiert ausgerichtet, sondern das Angebot würde sich an der vorhandenen Kaufkraft orientieren. Durch "Gutscheine" für weniger Kaufkräftige, so das Papier, soll dieser Systemwechsel sozial abgefedert werden. Den gemeinnützig arbeitenden Wohlfahrtsverbänden – also auch der Caritas und der Diakonie – entzöge dieser Systemwechsel endgültig die bisherige Geschäftsgrundlage ihrer Arbeit. Es geht also um eine weitere Variante der Privatisierung: um die Privatisierung derjenigen Teile öffentlicher Daseinsvorsorge, die bisher in zivilgesellschaftlicher Verantwortung von Non-Profit-Organisationen erbracht werden. Ein Schritt, der weitreichende Konsequenzen für alle Non-Profit-Organisationen hätte.
Die Autoren nehmen damit ein Thema auf, das bereits in dem Gutachten „Die abgabenrechtliche Privilegierung gemeinnütziger Zwecke auf dem Prüfstand" vom August 2006 aus dem Bundesfinanzministerium auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Beide Positionspapiere sind Voten für das prinzipiell auf Privatisierung setzende Konzept der EU für die öffentliche Daseinsvorsorge. Von wenigen Ausnahmen abgesehen soll der Staat nach diesem Konzept nur mehr als Auftragsvergeber und als Steuerungsinstanz agieren. Die konkreten Dienste aber sollen profitorientiert von Privatanbietern erbracht und somit den Regeln der EU-Binnemarkt- und Wettbewerbsordnung unterworfen werden.
Die Petersberger Erklärung trägt noch eine besondere Note: Einer ihrer Unterzeichner ist Prof. Dr. Gert G. Wagner. Er arbeitet nicht nur für das DIW Berlin, die TU Berlin und für das Max-Weber-Kolleg an der Universität Erfurt – er ist auch der Vorsitzende der Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das Wagner als Mitglied und Sprecher der renommierten EKD-Sozialkammer – auch wenn er die Petersberger Erklärung nicht in dieser Rolle unterzeichnet hat – sich für die Beseitigung der bisherigen Arbeitsgrundlage der Diakonie, aber auch der Caritas und aller anderen Wohlfahrtsverbände, einsetzt, hat schon einen skandalösen Charakter. Man darf gespannt sein, wie sich der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, und der Präsident des Diakonischen Werks der EKD, Klaus-Dieter Kottnik dazu stellen, dass ausgerechnet von einem herausgehobenen Mitglied der EKD-Sozialkammer Diakonie und Caritas in einer existenzgefährdenden Weise angegriffen werden.
Veröffentlicht in: Publik Forum Nr. 2 | 2009 vom 30. Januar 2009