Wir wissen doch, dass dies eine Politik der Spaltung ist.
REDE von GABI ZIMMER auf dem LANDESPARTEITAG DER LINKEN in THÜRINGEN
Es geht um vieles heute. Über Europa zu reden, heißt, über uns selbst zu sprechen. Über unsere Wurzeln, über unsere Geschichte, ohne die wir heute nicht hier stünden.
Warum gerade zu Beginn die kurze Lesung aus Sempruns „Was für ein schöner Sonntag?"
- Olivier Hansen, GUE/NGL
Um zu verstehen, warum die Linke in Europa so ist, wie sie ist, lohnt es sich einen Blick auch auf die Biographie Jorge Sempruns zu werfen. Der Spanier Semprun, der als junger Mensch in der französischen Résistance kämpfte, als Mitglied der KP Spaniens im KZ Buchenwald im Internationalen Lagerkomitee mitwirkte, Solidarität erfuhr und selbst leistete, nach der Befreiung des KZ Buchenwald im Kampf gegen das Franco-Regime in der Illegalität wirkte, mehrere Decknamen trug, zunächst über viele Jahre der Internationale Organisator war, später die Untergrundarbeit der KP in Spanien selbst leitete und als Federico Garcia Mitglied des engen Führungskreises der KP Spaniens war. Semprun, der sich intensiv mit den Verbrechen des Stalinismus auseinandersetzte und dies auch von seiner Partei und der kommunistischen Bewegung einforderte, wurde 1964 aus der KP Spaniens ausgeschlossen.
Diese Biographie und der Umgang damit ist Bestandteil der Geschichte der spanischen wie der europäischen Linken.
Es geht um mindestens zwei Dinge:
Erstens um Solidarität. Solidarität zwischen und mit Menschen, denen Menschenrechte verweigert werden. Menschen, die von Armut, sozialer Ausgrenzung ebenso bedroht sind wie von politischer Unterdrückung und der Verweigerung persönlicher Freiheitsrechte. Menschen, die vom Tod bedroht sind. Menschen, die Solidarität brauchen. Und Menschen, die selbst in höchster Lebensgefahr, anderen Solidarität geben.
Semprun spricht aber auch von verweigerter Solidarität. Verweigert im Namen rassischer oder ideologischer Überlegenheit und Herrenmenschentums.
Zweitens um Dialektik. Wir leben nicht in einer Sekte, abgeschottet oder eingeigelt. Gartenzäune und Mauern, alte und neue Grenzen bewahren uns nicht – weder im Guten noch im Bösen – vor dem Leben um uns herum. Unsere Kultur, unser Wissen, unsere Bildung, unsere Geschichte, unser Denken basieren auf vielfältigsten Geschehnissen, Verflechtungen, Einflüssen. Léon Blum übersetzte lange vor der Machtübernahme der Faschisten in Deutschland die Gespräche Goethes und Eckermanns, die diese bei ihren Spaziergängen auf dem Ettersberg führten, ins Französische. Als Mitglied der PCF engagierte er sich für die Aufnahme in die Komintern. Nach der Spaltung der PCF führte er die französischen Sozialisten an. Er wehrte sich heftig gegen die nationalistische Deutschlandpolitik Frankreichs, wurde zum ersten jüdischen Präsidenten des Landes gewählt. Von 1943 bis 1945 wurde er in Buchenwald – auf genau jenem Ettersberg – und in Dachau inhaftiert. Ein kleiner Ausschnitt französischer, deutscher, spanischer – europäischer Geschichte.
Was hat das mit uns heute zu tun?
Für uns als Linke geht es um Solidarität.
Es geht darum, solidarisch und europäisch zu denken und zu handeln.
Und das nicht nur in den neuen Grenzen, die von der EU gezogen wurden.
In türkischen Gefängnissen befinden sich mehrere hundert Häftlinge seit Wochen im Hungerstreik. Einige seit mehr als 60 Tagen. Ihr Leben ist massiv gefährdet. Bei einigen hat dies bereits zu möglicherweise irreversiblen Erblindungen geführt. Diesem Hungerstreik haben sich inzwischen führende Politiker kurdischer und türkischer Parteien angeschlossen. Es ist ein Schrei aus Verzweiflung, ein Schrei nach Demokratie, dem Recht, die eigene Sprache sprechen zu dürfen. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität.
Sie brauchen sie ebenso wie die Menschen, die unter den Spardiktaten, den Kürzungen der öffentlichen Haushalte leiden. Menschen deren ohnehin schon geringes Einkommen, massiv gekürzt wurde oder die überhaupt keinen Lohn und auch keine Sozialleistungen erhalten. Deren Kündigungsschutz per Memorandum aufgehoben wird. Krebskranke , die nicht mehr medizinisch versorgt werden, weil das Gesundheitssystem zusammenbricht. Kinder, die oftmals mehrere Tage hungern und in der Schule ohnmächtig werden. Menschen, die ihr ganzes Leben ihr kleines Geschäft betrieben haben und jetzt vor dem absoluten Bankrott stehen. Die Selbstmordraten in den am meisten von der Krise betroffenen Staaten sind in den letzten 3 Jahren um das 3-5 fache gestiegen!
Am letzten Mittwoch streikten erstmals gleichzeitig in mehreren Ländern der EU Hunderttausende Menschen gegen Spardiktate, die ihnen die Luft zum Atmen nehmen.
In Spanien, Portugal, Griechenland, auf Zypern, in Italien. Solidaritätsaktionen und Demonstrationen gab es in vielen weiteren Ländern. In Belgien kam der gesamte Bahn- und Busverkehr zum Erliegen. Auch in Deutschland gab es einige Aktionen.
An die Bilder der Protestierenden in Athen, Madrid und Lissabon und die offene Verunglimpfung und Verhöhnung der Menschen, die sich dramatischen Notlagen befinden, haben sich viele BILD-Zeitungsleser und Konsumenten sowohl der privaten als auch öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland gewöhnt.
Jetzt wird deutlich, die Menschen im Süden stellen sich gemeinsam gegen die Politik des Nordens, des Zentrum der stärkeren Ökonomien der EU und sie stellen sich gleichzeitig gegen ihre Regierungen, die diese Politik durchsetzen.
Wo stehen wir als Linke in dieser Auseinandersetzung? Sind wir uns der immensen Herausforderung bewußt, dass viele Menschen in Griechenland und anderswo gerade auf uns, die Gewerkschaften in Deutschland, die Linken und andere soziale Kräfte hoffen, Regierende wie Merkel und Co in ihrem Spar- und Kürzungswahn zu Lasten öffentlicher Haushalte zu stoppen? Sind wir uns im klaren darüber, dass der Widerstand, den die Portugiesen, Spanier, Griechen gegen die Politik Merkels, Hollands, Camerons, van Rompuys und anderer leisten, auch ein Kampf ist, den sie für uns hier in Deutschland mit führen?
Wir wissen doch, dass dies eine Politik der Spaltung ist.
Der Spaltung in Mitglieder der Eurozone und Nichtmitglieder der Eurozone, in hochverschuldete und weniger hoch verschuldete Staaten der Eurozone, in Zentrum und Peripherie innerhalb der EU, die Spaltung in Arm und Reich und – eine Spaltung und Entsolidarisierung der Bevölkerungen in den Mitgliedstaaten der EU.
Wir hier in Deutschland wissen aber auch um unsere privilegierte Situation im Vergleich zu anderen, fürchten uns dennoch, dass die Krise Deutschland erreicht.
Nicht wenige sind deshalb noch bereit, ein gewisses Maß an sozialen Kürzungen hinzunehmen und eine Allianz mit der herrschenden Politik einzugehen. Die harte Linie Merkels gegenüber Griechenland, Spanien findet Resonanz unter großen Teilen der Bevölkerung. Je mehr die Regierenden die Spaltung der EU, die Spaltung Europas provozieren, umso schwerer wird es, solidarisch mit den Griechen, Spaniern usw. zu sein, sich ihrer Sache anzunehmen.
Dennoch müssen wir es tun. An dieser Frage wird sich auch entscheiden, ob die Linke in Deutschland, die Linken in Europa eine Zukunft haben werden.
Es ist nicht aussichtslos. Als in diesen Tagen in Genk die Ford-Arbeiter gegen die Schließung ihrer Werke und damit die Vernichtung von 6000 Arbeitsplätzen protestierten, beteiligten sich 600 Gewerkschafter der Kölner Ford-Werke an diesen Protesten. Das wäre noch vor einem halben Jahr undenkbar gewesen.
Es ist auch eine Art von Solidarität, mit den Mythen über die Krise und den faulen Griechen aufzuräumen.
Wir alle sind Griechen
Griechenland ist der Testfall. Die Gesellschaft in Griechenland zerbricht nicht wegen der vielen strukturellen Defizite in Verwaltung, Wirtschaft, öffentlichen Diensten oder im Steuersystem. Die gesellschaftliche Ordnung, das Gemeinwesen implodiert wegen der von der Troika – IWF, Europäische Kommission, EZB – erzwungenen drastischen Streichungen für Ausgaben für Gesundheitswesen, Bildung, öffentlichen Transport, kommunale Versorgungsleistungen, öffentliche Dienstleistungen. Gerade erst hat der Europarat festgestellt, dass im 1. Memorandum enthaltene Elemente der Europäischen Sozialcharta, die auch Griechenland unterschrieben hat, widersprechen und somit illegal sind. Zum Beispiel die Festlegung, dass der Mindestlohn für Beschäftigte unter 25 Jahre ein Drittel unter dem nationalen Mindestlohn liegen muss. Oder, dass der Kündigungsschutz für mindestens ein Jahr ausgehebelt wird.
Inzwischen ist das Memorandum fortgeschrieben worden und enthält noch viel weiter gehende Lohn- und Gehaltskürzungen, die Verlängerung der Tages und Wochenarbeitszeiten.
Haben die bisherigen Maßnahmen dazu geführt, die griechischen Schulden zu minimieren?
Keineswegs. Unter dem Diktat der Troika, der Maßnahmen des Memorandum ist die Schuldenquote auf über 190 % gestiegen, allein in Athen und Umgebung haben in den letzten 18 Monate mehr als 60 000 Geschäfte schließen müssen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 % und die Jugendarbeitslosigkeit bei 50%!
Die Wirtschaft ist tot. Die Häfen in Piräus, Thessaloniki und anderswo ähneln nur noch Schrotthaufen. Ein Großteil der griechischen Museen, die unglaubliche Schätze der Antike enthalten, sind geschlossen, weil kein Aufsichts-und Sicherheitspersonal mehr bezahlt werden kann und Geld für die kleinsten Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten fehlt – zum Beispiel für das Auswechseln von kaputten Glühbirnen. Auch an den Universitäten des Landes fehlt es am Notwendigsten.
Das Vertrauen in die Demokratie, in die regierenden Parteien ist auf ein Minimum gesunken. Am schlimmsten hat es die Pasok getroffen. Gegenwärtig liegt sie bei ca. 4% der Wählerstimmen. Sie wurde längst von der faschistischen „Morgenröte" überholt.
Alle wissen es:
Unter diesen Bedingungen des Memorandums kann Griechenland die Schulden nicht bezahlen. Nicht in zwei Jahren, nicht in fünf Jahren, auf Jahrzehnte hinaus nicht.
Deshalb ist die Forderung, die weit über das Spektrum linker und globalisierungskritischer Wissenschaftler hinausgeht, klar: Griechenland braucht einen Erlass von Schulden, zumindest von jenen, für die Griechenland nicht selbst verantwortlich ist. Schulden, die im Rahmen der internationalen Finanzmarktkrise, durch die Spekulationen auf den Zusammenbruch des griechischen Staates, durch die so genannten Krisenrettungsmaßnahmen entstanden sind. Alexis Tsipras fordert ein solches Schuldenaudit ebenso wie eine Internationale Schuldnerkonferenz nach dem Beispiel von 1953 als Deutschland durch die wichtigsten Gläubiger die horrenden Schulden erlassen und gleichzeitig mit dem Marshall-Plan der wirtschaftliche Aufschwung begründet wurde.
Es gibt gute Gründe für einen Schuldenschnitt. Da sind historische Gründe, die mit dem Krieg Deutschlands gegen Griechenland zusammenhängen. Da sind Verfassungsgründe, ethische Gründe bezüglich der angewandten Maßnahmen, die die Bevölkerung erheblich belasten.
Ebenso könnten mit den Artikeln 66, 107, 108 und 122 des Lissabonner Vertrags die eingetretene Situation in Griechenland „als außerordentliche Umstände" gewertet werden. So wären direkte Beihilfen und finanzieller Beistand der EU für Griechenland möglich.
Vom Rettungsschirm haben weder die Menschen in Griechenland etwas noch die Kleinen und Mittleren Unternehmen. Von der Tranche in Höhe von rund 30 Mrd €, die jetzt erwartet wird, gehen über 29 Milliarden in die Banken.
Für Griechenland wie für andere Mitgliedstaaten gilt: Das Leben von Menschen ist wichtiger als die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU.
Investitionsprogramme, die eine nachhaltige soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen. Solidarische Transfers müssen ermöglicht werden. Und das Mandat der EZB sowie weiterer regionaler Entwicklungsbanken muss verändert werden. Es geht um Eurobonds und die Rolle der EZB als „lender of last resort" .
Stattdessen will Merkel den Mitgliedstaaten einen Umbau nach deutschem Muster der Agenda 2010 verordnen. Sie verkauft allen Ernstes die jetzigen Entwicklungen in einigen Krisenländern als Erfolg. Sie begründet ihn mit der erreichten Senkung von Lohnstückkosten zum Beispiel in Irland.
Zurück zum Ausgangspunkt:
Für die Stärkung eines solidarischen EU-Integrationsprozesses
Noch vor kurzem hieß die gemeinsame Formel für die der EU zu Grunde liegenden Solidarität „Kohäsions- und Strukturfondspolitik". Diese Mittel werden eingesetzt, um die wirtschaftliche, strukturelle und soziale Entwicklung in den Mitgliedstaaten und Regionen einander anzunähern. Viele Staaten haben in den zurückliegenden Jahren davon profitiert.
Nicht zuletzt auch die ostdeutschen Regionen, für die vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung 2004 die Höchstförderung entfällt. Um die in den letzten Jahren erreichten Ergebnisse nicht in Frage zu stellen, wurde vorgeschlagen, Übergangsregionen als eine Art „Sicherheitsnetz" einzurichten.
Ich will hier nicht im Einzelnen schildern, wie wichtig diese Fonds für die Strukturentwicklung, für Beschäftigungs- und soziale Projekte, für die Entwicklung des ländlichen Raums auch in Thüringen waren und sind (Dazu wird Jürgen Kubitzki sprechen).
Wesentlich für die Wirksamkeit der Fonds ist die finanzielle Untersetzung. Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU gilt für 7 Jahre und muss jetzt für 2014 bis 2020 beschlossen werden. Die EU finanziert sich über die Beiträge der Mitgliedstaaten. In den Haushalt fließen keine eigenen Einnahmen ein. Das Finanzvolumen des aktuellen Finanzrahmens macht etwas mehr als 1% des BNE aus und ist aus unserer Sicht – gemessen an den Bedürfnissen – zu gering. Die Übertragung von Aufgaben aus den Mitgliedsländern wie die Finanzierung großer Forschungsprojekte, die erwartete Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten wie Kroatien und später möglicherweise Serbien und die Vertiefung der EU-Integration erfordern in der Summe einen höheren Haushalt.
Wir erleben gerade einen Streit mit Ankündigung. Die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Ländergruppen prallen aufeinander.
Der Vorschlag, den die Kommission unterbreitete und der auch vom Europaparlament unterstützt wird, umfasst einen Beitrag der Mitgliedsländer in Höhe von 1,1% des BNE.
Ich möchte es an dieser stelle klar sagen, selbst dieser Kommissionsvorschlag ist aus Sicht der Linken im EP nicht ausreichend und führt zu schweren Kürzungen.
Insbesondere Herr Cameron, der britische Premier, und Frau Dr. Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, haben sich zu einem Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel entschlossen.
Es wird munter gewürfelt, wer rausfliegt und wer es in das rettende Ziel schaffen könnte.
Großbritannien will 200 Milliarden weniger, die Bundesregierung 100 Milliarden im Vergleich zum Kommissionsvorschlag.(Merkel und Schäuble: 1 Milliarde auf 7 Jahreszeitraum nicht das Problem, wollen Druck, um den Einsatz der Fonds mit makroökonomischen Konditionalitäten zu verbinden; doppelte Bestrafung der betroffenen Regionen! )
Die zypriotische Präsidentschaft zielte in der Vermittlung auf eine Kürzung um 50 Milliarden. Sie musste allerdings feststellen, dass es zu jedem Vermittlungsvorschlag jeweils ein Veto durch andere Mitgliedsländer gab. Nun hat der Vorsitzende der ständigen Ratspräsidentschaft die Verhandlungen weitgehend an sich gezogen. Er unterbreitete nun einen Vorschlag, der im Vergleich zur Kommission eine Reduzierung um 75 Milliarden Euro vorsieht.
Worüber reden wir hier? Das Haushaltsvolumen der EU umfasst 2% des Haushaltsvolumens der Mitgliedstaaten der EU. Oder anders gesagt: Die Mitgliedstaaten verfügen über ein Gesamtvolumen, das 50 mal so hoch ist wie das der EU. Die Parole: Wegen der Krise müssen die Mitgliedstaaten sparen, deshalb muss auch der EU-Haushalt reduziert werden, ist eine Farce, die wir als Linke nicht akzeptieren dürfen. Sie verkündet die Aufgabe des Solidarprinzips in der EU.
Die zu erwartenden Kürzungen haben klare Auswirkungen für die Struktur- und Kohäsionsfonds. Die Mittel für die Übergangsregionen, darunter eben auch Thüringen, würden sich erheblich reduzieren. Statt der vorgeschlagenen 66% der bisherigen Fördersumme kämen allenfalls noch 50% der bisherigen Fördermittel zum Einsatz (siehe auch Diskussion um Fördermittel für die Stadt Sonneberg).
Die Kürzung der Mittel für die regionale Entwicklung oder für den Europäischen Sozialfondsstellen stellen noch mehr als die ostdeutschen Regionen die Länder Osteuropas und Südeuropas vor erhebliche Probleme.
15 Mitgliedstaaten plus Kroatien haben sich in diesen Wochen zu einer Koalition der „Friends of Cohesion" zusammengeschlossen und opponieren gegen die vorgeschlagenen Kürzungen. Merkel schlägt inzwischen auch der Gegenwind aus den Reihen der Konservativen entgegen.
Es wird heiß in diesen Novembertagen in Brüssel. Es ist auch bezeichnend, dass sich die Minister der „Friends of Cohesion"- Staaten diese Woche im Brüsseler Europaparlament trafen, um ihre Strategie für die bevorstehenden Verhandlungen auf dem Brüsseler Sondergipfel in der kommenden Woche zu beraten.
Ein deutliches Zeichen vor allem in Richtung Merkel, dass sich diese 16 Staaten vor allem Hilfe durch die Mehrheit der Abgeordneten des Europaparlaments erhoffen.
Eine Unterstützung, um die auch Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, vor wenigen Tagen bei den Fraktionsvorsitzenden warb.
Das Europaparlament hat erst in dieser Woche die Verhandlungen zum Haushalt 2013 platzen lassen. Seit Jahren werden Defizite von einem Jahr ins nächste mitgeschleppt.
Seit Oktober werden die großen Programme nicht mehr bedient. Zum Beispiel Erasmus – das Programm das symbolisch für ganze Generationen von Studierenden in Europa steht. 880 Millionen sollte der vorgesehene Nachtrag für den laufenden Haushalt umfassen. Der Rat weigert sich, die laufenden Verpflichtungen aus diesen Programmen - so wie von Rat und Parlament beschlossen- nachzufinanzieren.
Weigert sich der Rat, die übernommenen Verpflichtungen zu finanzieren, wird das Parlament keinem Haushalt 2013 zustimmen.
Erst langsam begreifen die Regierungschefs der Länder, dass das Europaparlament die eigenen Rechte, die es mit dem Lissabonner Vertrag bekommen hat, nicht wegnehmen lässt.
Die Mitentscheidungsrechte werden ernst genommen.
Als das Europaparlament vor einigen Wochen und Monate ACTA und SWIFT zurückwies, wurde einigen Regierungen bewusst, dass sie das EP nicht einfach negieren können.
Die EP-Abgeordneten sind sich weit über die Fraktionen hinweg in dieser Frage einig: Zu oft wurden dem EP Mitentscheidungen vorenthalten, um sich jetzt noch vom Rat auf ein Laissez-faire-Spiel einzulassen.
Herausforderungen an Die LINKE und Die Linken in Europa:
Im Übrigen wissen auch längst nicht alle politischen Führungsgremien der Linken Parteien in Europa um die veränderte Rolle des Europäischen Parlaments. Es ist beileibe nicht mehr die Quasselbude, in der folgenlos debattiert wird. Fast alle meine Kolleginnen und Kollegen stecken in direkten Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat zu einzelnen Gesetzesvorhaben.
Wir können als Abgeordnete sehr wohl blockieren, Neuverhandlungen erzwingen. Wir sind als linke Abgeordnete in der Minderheit. Um Einfluss auf laufende Gesetzesinitiativen nehmen zu können, sie zu verändern, müssen wir Bündnisse suchen, mit anderen, die punktuell ähnlich denken wie wir, kooperieren. Wir stellen nur 4 Prozent der Abgeordneten im EP. Abgeordnete aus Osteuropa sind in unserer Fraktion kaum vertreten. Nur die Gruppe unserer Freunde von der Tschechischen KP und ein lettischer Genosse wirken in unserer Gruppe mit. Somit werden auch die Bedürfnisse, die politischen Interessen der Menschen in den verschiedenen Staaten Zentral- und Osteuropas nur ungenügend reflektiert.
Mit Blick auf die Wahlkämpfe zu den bevorstehenden Landtags, Bundestags- und Europawahlen geht es darum, die europäische und globale Perspektive in alle unsere Forderungen aufzunehmen. Wer im bevorstehenden Bundestagswahlkampf unterschätzt, welche Rolle die europäischen Streitfragen spielen werden, hat von vorneherein verloren. Unsere Wahlkampfstrategien müssen aufeinander abgestimmt sein, sich gegenseitig befördern.
Gelingt es uns, in den kommenden Wahlkämpfen die Sache der Griechen zu unserer zu machen? "Wir sind alle Griechen" ist mehr als nur ein Bekenntnis zur internationalen Solidarität!
Es ist auch die klare Ansage, inwieweit wir willens sind, transnational zusammen zu arbeiten, eine neue Form der politischen Kultur zu entwickeln und letztendlich auch bestehende Herrschaftsverhältnisse in Frage zu stellen.
Ich warne eindringlich davor, hier ausweichen zu wollen. Wer glaubt, die Menschen "dort abholen zu wollen, wo sie sind" und damit meint, sich auf Stammtischparolen einlassen zu müssen, handelt verantwortungslos. Es gibt keinen sogenannten "positiven Nationalismus".
Dieser endet immer im Nationalismus. Linker Nationalismus ist nichts anderes als Nationalismus. Punktum.
Die Regierenden sind gegenwärtig bereit, zur Durchsetzung ihrer Ziele, die nationale Karte zu ziehen. Entsolidarisierung der Bevölkerungen der Mitgliedstaaten, die Entsolidarisierung zwischen Bevölkerungsgruppen bis hin zur Tatsache, dass Migrantinnen und Migranten, Angehörige ethnischer Gruppen , Roma und Sinti benutzt werden, um den Frust, Enttäuschung, Ängste und auch Hass auf sie umzuleiten.
Wir können uns dieser Entwicklung vor allem mit unserer Solidarität entgegenstellen. Wir müssen das tun.
Genauso, wie wir verstehen müssen, die Schwäche der Linken in Europa als Herausforderung zu betrachten. Zu verstehen, dass wir als Linke im Wissen um diese Schwäche neue Formen von transnationaler, europäischer Kooperation entwickeln und uns auf diese einlassen müssen.
Wir brauchen eine gemeinsame Strategie der Linken in Europa, die die lokalen, nationalen und europäischen Kämpfe aufnimmt. Eine Strategie, die uns glaubwürdig und attraktiv macht für all jene, die die Politik, die herrschenden Verhältnisse in unseren Ländern, aber auch in der EU selbst verändert.
Es reicht nicht, zu sagen: Wir wollen nicht mehr Europa, nicht weniger Europa - wir wollen ein anderes Europa. Merkel und Co. verändern dieses Europa, diese EU schon seit mehreren Jahren. Da dürfen wir nicht daneben stehen, sondern müssen uns einmischen - und wir müssen gleichzeitig sagen, wie dieses andere Europa denn aussehen soll, wie wir und mit wem wir dahin kommen wollen.