Mit Lissabon in NRW - die Praxis der Regierung Rüttgers zeigt, wie dringend ein politisches Umsteuern in Europa ist
PRESSEMITTEILUNG von Jürgen Klute
Die Regierung Rüttgers bewirbt ihre wichtigsten neoliberalen Reformprojekte als Umsetzung der 2000 beschlossenen "Lissabon-Strategie" der EU. Daraus wird deutlich, dass die Europäische Union einen grundlegenden Politikwechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik braucht.
Im Jahr 2000 beschlossen die Regierungschefs der Europäischen Union (zum damaligen Zeitpunkt mit großer Mehrheit SozialdemokratInnen) bei einem Sondergipfel die "Lissabon-Strategie". Deren Ziel war es, Europa "zum wettwerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" zu machen. Dabei hatte man einen Standortwettlauf mit den aufstrebenden ostasiatischen Staaten und vor allem den USA im Auge, in denen noch die sog. "New Economy" boomte. Zu den Zielen gehörte auch, "ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einen größeren Zusammenhalt zu erzielen". Beinahe ein Jahrzehnt, nachdem die Strategie beschlossen wurde, sollte endlich ihr endgültiges Scheitern eingestanden werden, so der Europa-Abgeordnete Jürgen Klute aus Nordrhein-Westfalen.
"Mit den Abstürzen an der Wall Street ab 2001 und dem darauf folgenden Untergang der 'New Economy' hätte schon damals die Lissabon-Strategie infrage gestellt werden müssen", betont Klute. Stattdessen habe man das Vorhaben nicht nur fortgesetzt, sondern verschärft. Auf dem EU-Gipfel von Barcelona empfahl der Rat die Lockerung des Kündigungsschutzes, größere Lohnspreizung und die Erhöhung des Renteneintrittsalters. "Die Lissabon-Strategie ist die Blaupause für Gerhard Schröders 'Agenda 2010' gewesen", bemerkt der Abgeordnete aus Herne weiter, "und die Regierung Rüttgers ist sich nicht zu schade, unter demselben Vorzeichen neoliberale Reformen mit der Brechstange gegen die Mehrheit der Bevölkerung in NRW durchzusetzen". Die nordrhein-westfälische Landesregierung beruft sich in einer ihrer jüngsten Veröffentlichungen darauf, mit ihrer Politik das EU-Projekt umzusetzen.
Die Lissabon-Strategie und die Politik der Regierung Rüttgers seien keinesfalls geeignet, den "sozialen Zusammenhalt" in der Gesellschaft zu stärken, kritisiert Jürgen Klute. "Mehr und bessere Arbeitsplätze" seien jedenfalls weder durch die deutliche Verschlechterung des Personalvertretungsgesetzes, noch durch die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten entstanden. "Besonders unverfroren finde ich es, die Abschaffung des Tariftreuegesetzes als Wohltat für die Unternehmen zu bewerben", bemerkt der Abgeordnete am Freitag, "denn diejenigen Unternehmen, die Tarifverträge einhalten und ihre Beschäftigten fair behandeln, geraten so unter höheren Wettbewerbsdruck". Die Regierung Rüttgers widerspreche sich selbst, wenn sie einerseits Tariftreue unterlaufe, und zugleich den gesetzlichen Mindestlohn ablehne, weil Tarifverträge Vorrang haben sollten. Für die Städte und Gemeinden in NRW sei die Politik der Landesregierung keine Unterstützung, sondern vielmehr eine Belastung: "Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden wurde beschränkt, wichtigen Einrichtungen wie Arbeitslosenberatungen und Frauenhäusern wurde die Unterstützung gestrichen".
Das Ziel einer breiteren Bildungsbeteiligung und eines wissensbasierten Wirtschaftsraums sei grundsätzlich zu unterstützen. Durch die Privatisierung von Bildung und die Entdemokratisierung von Schulen und Hochschulen sei es allerdings nicht zu erreichen. "Deutschland hat ohnehin schon im internationalen Vergleich zu wenig Studierende. Dieses Problem wurde in NRW durch die Einführung allgemeiner Studiengebühren zusätzlich verschärft. Und mit dem Kinderbildungsgesetz (Kibiz) wurden die Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen verschlechtert, die Planungssicherheit für die Träger zerstört und wurden private Anbieter zugelassen", wirft Klute der Landesregierung vor.
"Wenn die Politik der Rüttgers-Regierung die wortgetreue Umsetzung der Lissabon-Strategie ist, dann brauchen wir eine grundlegend andere Wirtschaftspolitik in Europa", so Klute. Eine zukunftsfähige Strategie erfordere mehr öffentliche Investitionen in den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und eine europaweite Initiative für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Außerdem gehöre eine rigide demokratische Kontrolle der Finanzmärkte auf die Tagesordnung.