Es geht nicht um Regierungsfähigkeit, sondern um Hegemoniefähigkeit

Positionspapier im Vorfeld der Parteienvereinigung von WASG und Linkspartei.PDS

12.07.2008
Jürgen Klute

Im Vorfeld der Parteienvereinigung ist in WASG und Linkspartei.PDS erneut die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Regierungsbeteiligungen aufgeflammt. Konkret geht es dabei um die Frage des Verhältnisses der neuen Linken zur SPD. Andere "Koalitionspartner" dürften ja wohl nicht einmal theoretisch in Betracht kommen.

Im NRW-Landtagswahlkampf 2005 habe ich als Spitzenkandidat der WASG die Position vertreten, dass wir uns im Falle eines Einzugs in den Landtag nicht auf Koalitionsspiele mit der SPD einlassen können, wenn wir vor allem als linke Alternative zu eben dieser Partei zur Wahl angetreten sind. Ich kann nicht erkennen, dass sich die Politik der SPD zwischenzeitlich in einer Weise geändert hätte, dass es nachvollziehbare Gründe gäbe, diese von der NRW WASG mit getragene Position zu überdenken.

Allerdings halte ich eine dogmatische Ablehnung von parlamentarischen Bündnissen für ebenso verfehlt wie ein ständiges Schielen auf Regierungsbeteiligungen. Im Zentrum einer neuen Linken muss die Frage stehen, wie sie ihre politischen Ziele am besten durchsetzen kann. Eine Regierungsbeteiligung ist nicht der einzige Weg, dies zu tun.

Vor allem aber muss die Linke eine klare Vorstellung davon haben, wohin sie politisch will. Nur dann kann sie die Frage beantworten, ob eine Regierungsbeteiligung zielführend ist oder ob es wirksamer ist, Politik aus der Opposition heraus zu machen.

Gegenwärtig bedeutet eine Regierungsbeteiligung vor allem, Mitverantwortung dafür zu übernehmen, dass die politischen Scherbenhaufen abgeräumt werden, die andere zu verantworten haben. Wie die letzten Wahlergebnisse aus Berlin zeigen, kann die Linke damit keine Zustimmung gewinnen. Ganz im Gegenteil: Sie verliert gewaltig an Stimmen. Eine Politik des kleineren Übel – darum geht es hier – wird nicht honoriert.

Zu Recht. Offenbar haben die Wählerinnen und Wähler genug von dieser Argumentation, mit der die SPD das linke Wählerinnen- und Wählerspektrum so lange vertröstet hat, bis die Unterschiede zwischen kleinerem und größerem Übel auf nur mehr mikroskopisch erkennbare Größenordnungen zusammengeschmolzen waren.

Die Linke im Bundestag zeigt bisher, dass in einer parlamentarischen Demokratie die Opposition durchaus eine Option ist. Und sie zeigt damit auch, dass es durchaus sinnvoll ist, im Parlament präsent zu sein. Auch wenn Opposition ein mühsames politisches Geschäft ist: Es zeigt sich – um nur ein Beispiel zu nennen –, dass es der Linken im Bundestag gelungen ist, aus der Opposition heraus das Thema Mindestlohn so weit auf der Tagesordnung zu verankern, dass es nicht mehr zur Seite geschoben werden kann. Ebenso hat die Linke im Bundestag erzwingen können, dass die Bolkestein-Richtlinie im letzten Jahr nicht gänzlich am Bundestag vorbeigegangen ist. Damit ist die Politik in der BRD noch nicht geändert. Wohl aber hat sich die politische Diskussion wahrnehmbar geändert. Das ist eine notwendige – wenn auch noch keine hinreichende – Voraussetzung für politische Veränderungen.

Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die neue Linke auf absehbare Zeit ihre größere Chance in der parlamentarischen Opposition hat. Die stabile Zustimmung zur Linken in den monatlichen Umfragen seit Herbst 2005 bestätigt diesen Schluss. Eine strategische Ausrichtung auf eine Oppositionspolitik setzt allerdings voraus, darunter mehr als ein notorisches Nein-Sagen zu verstehen. Zwischen Fundamentalopposition und Regierungsbeteiligung gibt es noch die Optionen punktueller, Themen bezogener politischer Bündnisse und der Tolerierung von Minderheitsregierungen. Vorrangiges Ziel der neuen Linken muss es sein, sich in Opposition einzuüben und zu lernen, was Opposition bedeutet: Parlamentarische Opposition heißt, außerparlamentarische Forderungen ins Parlament zu bringen. Opposition heißt, dem Regierungsrad in die Speichen zu greifen durch Anfragen und Anhörungen, durch Kritik und durch Gegenöffentlichkeit. Opposition heißt, gesellschaftliche Widersprüche sichtbar und diskursfähig zu machen und unter breiter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern linke Alternativen zur herrschenden Politik zu entwickeln, das Parlament damit zu konfrontieren und sich an der Organisation gesellschaftlicher Gegenmacht zur herrschenden neoliberalen Politik zu organisieren.

Wie die bekannten Beispiele zeigen, sind Regierungsbeteiligungen gegenwärtig nicht geeignet, eine andere Politik durchzusetzen – das kleinere Übel ist nur ein kleineres Übel, aber keine linke politische Alternative.

In einer einigermaßen funktionierenden parlamentarischen Demokratie sind politische Alternativen nur durchsetzbar, wenn sie bei den Wählerinnen und Wählern mehrheitsfähig sind. Gegen einen neoliberalen Mainstream, so wie er gegenwärtig zu verzeichnen ist, lassen sich auch aus einer Regierungsposition – und schon gar nicht aus der eines "Junior"-Partners in einer Koalition – keine politischen Alternativen durchsetzen.

Das zeigt das Beispiel Berlin. Die nötigen Mehrheiten für eine andere Politik erzeugt die neue Linke nicht durch Regierungsbeteiligungen, sondern durch Hegemoniefähigkeit. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann es daher für die neue Linke nicht um Regierungsbeteiligungen gehen. Das vorrangige Ziel der neuen Linken muss gesellschaftliche Hegemoniefähigkeit sein. Darin liegt der Schlüssel zur Durchsetzung einer anderen Politik, die die heutige Situation der Beschäftigten und der Arbeitslosen verbessert, und zur Durchsetzung einer linken politischen Alternative, die über den Kapitalismus hinaus zu denken und zu gehen vermag.